Demenz "Man wirft der Alzheimerforschung komplettes Versagen vor"

Die genauen Mechanismen, die zur Schädigung des Gehirns von Alzheimerpatienten beitragen, sind noch nicht entschlüsselt. Das erschwert die Suche nach langfristig wirksamen Therapien.

(Foto: imago/Science Photo Library)

Der weltgrößte Pharmakonzern gibt die Suche nach einem Alzheimermedikament auf. Demenzforscher wie Christian Haass stehen unter Druck wie nie. Ein Gespräch über Fortschritte, Rückschläge und persönliche Angriffe.

Interview von Berit Uhlmann

Pfizer, der größte Pharmakonzern der Welt, hat vor Kurzem bekanntgegeben, die Entwicklung von Alzheimermedikamenten einzustellen. Schon länger fürchten manche Wissenschaftler, dass die bisherige Forschung auf dem falschen Weg sein könnte. Was ist davon zu halten? Christian Haass , Biochemiker an der Münchner LMU und Sprecher des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen, hat die Hoffnung nicht aufgegeben.

SZ: Professor Haass, die Alzheimerforschung ist unter Druck geraten. Man wirft den Wissenschaftlern vor, mehr als 100 Jahre nach der Entdeckung der Krankheit noch immer keine schlüssige Erklärung zu ihrer Entstehung zu haben.

Christian Haass: Man wirft der Alzheimerforschung sogar komplettes Versagen vor. Sie dürfen aber nicht übersehen, dass wir die molekularen Mechanismen der Erkrankung erst seit den 1990er-Jahren entschlüsseln. Das ist keine sehr lange Zeit, vor allem nicht für eine Erkrankung, die sich über Jahrzehnte entwickelt. Der Erkenntnisgewinn ist gewaltig.

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Dabei sah am Anfang alles recht einfach aus. In den Gehirnen aller Alzheimerpatienten fand man große Mengen verklumpter Eiweiße. Quasi ein rauchender Colt am Tatort.

Diese Ablagerungen sind die auffälligste Veränderung in den Gehirnen der Patienten. Sie bestehen aus einem Eiweiß, das Amyloid genannt wurde. Es hat aber lange gedauert, es zu analysieren und herauszufinden, wo es herkommt. Bislang wissen wir, dass das Amyloid ein Abfallprodukt ist, das beim Abbau eines anderen Eiweißes entsteht. Im Alter funktioniert das Abräumen der Amyloide nicht mehr richtig. Sie klumpen dann zusammen, lagern sich an Nervenzellen ab und schädigen sie.

Nun hat man in Studien herausgefunden, dass die Menge der Amyloid-Ablagerungen nicht in Zusammenhang zur Schwere der Symptome steht. Sprich: Wer viele Plaques hat, ist nicht unbedingt vergesslich.

Das stimmt. Diese Erkenntnis hat man unter anderem aus der Untersuchung von Nonnen gewonnen. Die Frauen lebten ein sehr aktives Leben, waren geistig rege. Doch nach ihrem Tod fanden Forscher große Mengen Plaques in ihren Gehirnen. Die Nonnen waren offenbar in der Lage, deren Auswirkungen noch zu kompensieren. Das Gehirn hat ja enorme Reserven und kann bis zu einem gewissen Grad Schädigungen ausgleichen.

Umgekehrt hat sich gezeigt, dass man zwar Möglichkeiten hat, die Plaques zu beseitigen, doch dies hat sich nicht auf die Symptome der Patienten ausgewirkt.

Mit einer Art Impfung ist es im Tierversuch gelungen, nicht nur die Plaques abzuräumen, sondern auch den Gedächtnisschwund zu reduzieren. Es war atemberaubend, als dies erstmals an Mäusen gezeigt wurde. Beim Menschen sah das dann anders aus: Zwar waren die Plaques weg, aber der Gedächtnisverlust der Menschen setzte sich fort. Heute weiß man, dass man hier zu spät geimpft wurde. Die Nervenschädigungen waren bei den Patienten schon zu weit fortgeschritten. Es laufen nun weitere Studien mit Patienten in extrem frühen Stadien der Erkrankung, die hoffentlich günstigere Ergebnisse zeigen.

Sie nehmen also weiter an, dass die Amyloid-Ablagerungen die Ursache der Alzheimererkrankung sind?

Dies wird oft falsch verstanden. Ich sage nicht, Amyloid ist DIE Ursache für Alzheimer. Ich denke aber, dass es ein ganz wesentlicher Faktor ist. Für sich genommen macht Amyloid an den Zellen wenig. Es bewirkt aber die Bildung weiterer Ablagerungen in den Nervenzellen, die aus sogenannten TAU-Proteinen bestehen. Diese lösen den Zelltod aus. Das Gehirn versucht sich dann mit einer Entzündungsreaktion zu wehren, die zusätzlich schädlich wirken könnte. Es ist durchaus vorstellbar, dass das Amyloid nur den Anstoß für diese Kaskade liefert, die sich dann über einen Zeitraum von Jahrzehnten vollzieht. Wenn die ersten Alzheimersymptome auftreten, ist der Schaden schon sehr groß.