- Der russische Präsident Putin will sich am 18. März ein möglichst starkes Mandat für eine vierte Amtszeit im Kreml holen.
- Putin fehlen die konkreten Erfolge; die Wirtschaft stagniert, die Reallöhne sinken seit Jahren, immer mehr Menschen sind selbst nach offiziellen Maßstäben arm.
- Trotzdem genießt er große Popularität.
Als die Hymne aus dem Lautsprecher schallt, stellt sich die Delegation aus dem Moskauer Vorort Podolsk noch einmal zum Gruppenfoto auf. Rentnerinnen in Steppjacken, weiß-blau-rote Schleifen an die Brust geheftet, winken mit ihren Wimpeln und singen: "Ruhm dir, Vaterland, wir sind stolz auf dich." Der Text wird auf die Großleinwand projiziert. Die Melodie ist die der alten, sowjetischen Hymne, deshalb geraten die Worte auch nach vielen Jahren noch leicht durcheinander.
Aber so ist das überhaupt auf dieser Feier der nationalen Einheit, an der den Angaben der Behörden zufolge am Samstag mehr als eine halbe Million Menschen in ganz Russland teilgenommen haben sollen: Sowjetisches und Russisches werden so durcheinandergemischt, dass man es kaum noch auseinanderhalten kann. Das betrifft nicht nur das Programm, sondern auch die Organisation. Wie einst zum Ersten Mai und zum Jahrestag der Großen Oktoberrevolution schickt der Staat seine Bürger zu Kundgebungen auf die Straße.
Es sind die städtischen Angestellten, die Kindergärtnerinnen und Lehrerinnen, die Studenten und die Arbeiter staatlicher Betriebe, die sich zur Mittagszeit am Roten Platz eingefunden haben und auf der Uferstraße an der Moskwa durch den tauenden Schnee waten. Das Programm hat kaum angefangen, da drängen schon die ersten heimwärts.
Putin spaziert kampflos ins Ziel
Tausende bei Demos für einen Boykott der Präsidentschaftswahl
Vor einer Woche hat der Oppositionspolitiker Alexej Nawalny dem Kreml gezeigt, wie viele Menschen er mobilisieren kann. Tausende beteiligten sich an Demonstrationen für einen Boykott der Präsidentschaftswahl in sechs Wochen. Nun zeigt der Staat, dass er in der Lage ist, Massen zu mobilisieren. Dass das Volk geschlossen hinter Wladimir Putin steht. Der will sich am 18. März ein möglichst starkes Mandat für eine vierte Amtszeit im Kreml holen. Sein Zwischenspiel als Ministerpräsident eingerechnet, ist Wladimir Putin schon länger an der Macht als der sowjetische Langzeitherrscher Leonid Breschnew.
Putins größtes Problem dabei ist nicht der Oppositionelle Alexej Nawalny, den die Justiz mit Leichtigkeit aus dem Rennen gekegelt hat. Von den sieben Kandidaten, die als Herausforderer zugelassen wurden, hat keiner Aussicht auf mehr als neun Prozent. Die Wähler kennen überhaupt nur Wladimir Schirinowskij, der seit zwei Jahrzehnten den bellenden Nationalpopulisten mimt, der aber nie beißt. Und Ksenia Sobtschak, die Tochter von Putins Chef im Sankt Petersburger Rathaus, die als Moderatorin des russischen "Big Brother" berühmt wurde. Die Kommunisten haben diesmal einen parteilosen Unternehmer ins Rennen geschickt: Pawel Grudinin, Direktor der Erdbeerfarm "Lenin", die zwar noch den Titel "Sowchose" trägt, aber nach streng kapitalistischen Regeln bewirtschaftet wird. Grigori Jawlinskij, der Chef der liberalen Jabloko-Partei, scheint sich schon lange mit seiner Rolle als Verlierer abgefunden zu haben.
Putins größtes Problem ist er selbst. Da fehlen auf der einen Seite die konkreten Erfolge; die Wirtschaft stagniert, die Reallöhne sinken seit Jahren, immer mehr Menschen sind selbst nach offiziellen Maßstäben arm. Eine Zukunftsvision fehlt: Alles, was Putin den Wählern verspricht, hat er schon oft versprochen - angemessene Löhne und Renten, bessere Gesundheitsversorgung und die Lösung aus der Abhängigkeit von Öl und Gas. Aber wenn ihm in 18 Jahren an der Macht nicht gelungen ist, diese Versprechen umzusetzen, warum sollte das jetzt mit einem Mal gelingen?