Flugzeugabsturz Der Tod einer Mannschaft

Beim Flugzeugabsturz in Riem kamen 23 Menschen ums Leben, darunter acht Spieler von Manchester United.

(Foto: DPA)

Acht Spieler von Manchester United und 15 weitere Menschen kamen beim Flugzeugunglück am Riemer Flughafen ums Leben. Lange galt der Pilot der Maschine als Verantwortlicher - doch das ist umstritten.

Von Isabel Bernstein

Die Uhr zeigt eine Minute vor vier, als die Elizabethan erneut auf das Startfeld am Flughafen München-Riem rollt. Das Flugzeug soll die Fußballmannschaft von Manchester United zurück nach England bringen, die am Abend zuvor mit einem 3:3 in Belgrad den Einzug ins Halbfinale des Europapokals der Landesmeister geschafft hat. Zwei Startversuche hat die Maschine bereits abbrechen müssen, weil sie nicht auf die nötige Geschwindigkeit beschleunigen konnte. Doch für dieses Mal ist Kapitän James Thain optimistischer: Der dichte Schneefall hat nachgelassen und die Sicht ist besser geworden. Auf der Rollbahn liegt ein wenig Schneematsch.

16.02 Uhr: Der Tower erteilt die Starterlaubnis für die Maschine. Die Piloten beschleunigen, doch plötzlich treten die gleichen Probleme auf wie bei den zwei Versuchen zuvor. Das Flugzeug beginnt leicht zu schlingern, dann verliert es aus unerfindlichen Gründen an Geschwindigkeit. "Christ, we won't make it!", schreit Co-Pilot Kenneth Rayment plötzlich. Thain blickt in dem Moment das erste Mal während des dritten Startversuchs aus dem Fenster und erschrickt: Die Piste ist fast zu Ende, das Flugzeug ist zu langsam, um abzuheben - und zu schnell, um abzubremsen.

Der Absturz der ManU-Mannschaft

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Er habe das Haus und den Baum am Ende der Piste auf sich zurasen sehen, wird er später im Untersuchungsbericht des Luftfahrt-Bundesamts Braunschweig sagen: "Ich entsinne mich, dass ich dachte, wir könnten unmöglich dazwischen durchkommen. Ich zog den Kopf ein, und dann kam der Zusammenstoß." Das zweimotorige Flugzeug kracht in das 300 Meter von der Piste entfernte Haus, wird zerrissen, der Rumpf schleudert 150 Meter weiter und setzt einen Schuppen in Brand.

23 Tote, 21 Verletzte. Das ist die Bilanz des Flugzeugunglücks von Riem, das sich am 6. Februar zum 60. Mal jährt. Die schlichten Zahlen können aber nur einen Teil der Tragik abbilden, die der Absturz für die Überlebenden, die Hinterbliebenen und den englischen Fußball bedeutet hat. Er zog jahrelange juristische Streitereien nach sich, rief Verstimmungen zwischen England und Deutschland hervor, traumatisierte Überlebende wie den beim Absturz lebensgefährlich verletzten Trainer Matt Busby, der sich für den Tod acht seiner Spieler verantwortlich fühlte. "Er hat München nie vergessen. Irgendwie fühlte er sich verantwortlich. Als wären es seine Kinder, die dort gestorben sind", sagte der Fußballer Bobby Charlton, der das Unglück überlebte und die englische Nationalmannschaft acht Jahre später zum Weltmeistertitel führte.

Der Absturz zerstörte auch unter den Überlebenden Existenzen: Johnny Berry und Jackie Blanchflower waren so schwer verletzt, dass sie nie wieder Fußball spielen. Flugkapitän James Thain musste seinen Beruf ebenfalls aufgeben. Er konnte das Cockpit nach dem Unfall noch aus eigener Kraft verlassen, anders als sein Co-Pilot Rayment, der mehr als einen Monat später an den schweren Verletzungen im Krankenhaus starb.

Befand sich die Eisschicht schon vor dem Unfall auf den Tragflächen?

Doch Thains persönliche Tragödie begann sechs Stunden nach dem Absturz, als die Untersuchungskommission des Luftfahrt-Bundesamts Braunschweig am Unglücksort eintraf. Die Experten wischten den Schnee von den Tragflächen und entdeckten eine fünf Millimeter dicke Eisschicht. Hatte sich das Eis erst in den Stunden nach dem Absturz gebildet? Oder lag hierin die Ursache für den Unfall? Diese Frage ist bis heute nicht endgültig beantwortet. Im Untersuchungsbericht des Luftfahrtamtes hieß es später, dass sich "rein rechnerisch" der Eisbelag während der Zwischenlandung in München gebildet haben könnte. Zeugen berichteten, dass sich vor dem Wegrollen Schnee auf den Tragflächen befunden habe. Aber befand sich eine Eisschicht darunter?

James Thain, der am Tag nach dem Unglück 37 Jahre alt wurde, geriet ins Visier der Ermittler. Denn dafür, dass mit den Tragflächen alles in Ordnung ist, hatte der Pilot Sorge zu tragen. Das Luftfahrtamt untersuchte auch andere Faktoren. War die Startpiste im Schneetreiben unzureichend präpariert? Hatten die Laufräder im Schneematsch blockiert? Gab es Probleme mit der Technik am Flugzeug? Am Ende kam die Kommission aber zu einem eindeutigen Ereignis: "Die Eisschicht hat die aerodynamischen Eigenschaften des Flugzeuges wesentlich beeinträchtigt (...) und die erforderliche Abhebegeschwindigkeit heraufgesetzt. (...) Hierin lag die entscheidende Unfallursache." Mit anderen Worten: James Thain war für die Katastrophe verantwortlich.

Zumindest aus Sicht der Deutschen. Thain widersprach dieser Darstellung. Für ihn stand längst mehr auf dem Spiel als nur sein Ruf: Ihm drohte die Aberkennung seiner Fluglizenz und damit das berufliche Aus. Er wollte die Wiederaufnahme der Ermittlungen erzwingen, doch eine erneute Untersuchung bestätigte 1964 das Ergebnis von 1958. Für seinen Arbeitgeber British European Airways war der Pilot nicht länger haltbar. Thain wurde entlassen und musste sich fortan als Betreiber einer Putenfarm über Wasser halten.