Hamburg - Hannover (18 Uhr) Therapie mit der Axt

Während Ex-Trainer Markus Gisdol den 22-jährigen Brasilianer Walace aus dem HSV-Kader verbannte, ist er für Coach Bernd Hollerbach ein wichtiger Stützpfeiler beim Kampf gegen den Abstieg.

(Foto: Friso Gentsch/dpa)

Beim Brasilianer Walace, von Markus Gisdol suspendiert, zeigt der neue HSV-Trainer Bernd Hollerbach seine feinfühlige Seite. Der Mittelfeldspieler soll eine Schlüsselfigur im Abstiegskampf werden.

Von Jörg Marwedel, Hamburg

Vermutlich wird Walace Souza Silva am kommenden Wochenende, wenn der Hamburger SV zum Bundesligaspiel bei Borussia Dortmund antritt, nicht dabei sein. Der neue Trainer Bernd Hollerbach, Spitzname "Holleraxt", hat zu Beginn seiner Amtszeit gleich mal gezeigt, dass er nicht nur so rau wie früher auf dem Platz, sondern auch sensibel sein kann. Er gibt dem "Familienmenschen" (so Hollerbachs Einschätzung) frei für einen Flug in sein Heimatland Brasilien, wo dessen Frau Kamila laut Geburtsrechner am 9. Februar das zweite Kind zur Welt bringen soll. Doch an diesem Sonntag wird Walace noch einmal alles geben (so Hollerbachs Einschätzung) im Nordderby gegen Hannover 96, das für die Hamburger so wichtig ist im Abstiegskampf. Er soll, wie schon beim 1:1 in Leipzig in der vergangenen Woche, wieder im zentralen Mittelfeld die Räume für den Gegner eng machen.

Selten einmal waren zwei aufeinanderfolgende Trainer so unterschiedlicher Meinung wie der entlassene HSV-Coach Markus Gisdol und sein Nachfolger. Während Gisdol den 22-jährigen Olympiasieger von 2016, mit 9,2 Millionen Euro einer der teuersten Profis der Klubgeschichte, aus dem Kader verbannte, ist er für Hollerbach ein extrem wichtiger Stützpfeiler beim Versuch, den ersten Abstieg des HSV in der Bundesliga-Geschichte noch zu verhindern. Natürlich, Gisdol hatte zuletzt auch einen Grund für seine Skepsis: Walace hatte die Winterpause einfach um drei Tage verlängert. Und das nicht nur wegen seiner hochschwangeren Frau, sondern auch, weil der den Klub verlassen und nach Brasilien zurückzukehren wollte.

Walace fühlte sich in der für ihn noch fremden Umgebung von seinem Trainer nicht genügend unterstützt. Er machte in der Hinrunde nur fünf Spiele in der Startelf. Und Gisdol sprach ihm zuletzt sogar ab, noch genügend Einsatz für den HSV zu zeigen. Er sei "weder körperlich noch mental in seinem besten Zustand", umschrieb er den Grund für die Degradierung. Gisdol hätte nichts dagegen gehabt, wenn Sportchef Jens Todt ihn gegen einen neuen Spieler getauscht hätte. Walace wäre dann einer der unzähligen Spieler gewesen, mit denen es in Hamburg abwärts gegangen ist.

Walace sei "aggressiv, zweikampfstark, kann aber auch Fußball spielen", findet Hollerbach

Hollerbach hingegen sieht das ganz anders. Schon, als er die HSV-Spiele als Fan im Fernsehen beobachtet hatte, glaubte er die Qualitäten des Talents gesehen zu haben. In Brasilien hält man Walace, der bei Gremio Porto Allegre seine Berufs-Laufbahn begann, ohnehin für einen außerordentlich begabten Fußballer. Außer in der Olympia-Auswahl absolvierte er auch schon zwei Spiele für die A-Nationalelf. "Er ist sehr präsent, hat eine unheimliche Ausstrahlung", lobt nun der neue Coach. Walace sei ein Spieler, wie er ihn mag: "Aggressiv, zweikampfstark, kann aber auch Fußball spielen." Und weil Hollerbach berichtete, dass er sich in einem sehr offenen und persönlichen Gespräch davon überzeugt habe, dass Walace für einen Neuanfang zu gewinnen sei, beschloss er, mit ihm als Sechser das Ziel Klassenerhalt anzugehen. Es war nicht Hollerbachs einzige Änderung. Er revidierte unter anderem auch Gisdols Entscheidung für einen Torwartwechsel, die dieser erst nach der Winterpause getroffen hatte. Statt U21-Europameister Julian Pollersbeck steht also wieder Christian Mathenia zwischen den Pfosten.

Walace war mal als langfristige Investition und weniger als schnelle Hilfe gedacht gewesen. Sportchef Jens Todt hat den noch von Vorgänger Dietmar Beiersdorfer 2016 entdeckten Mittelfeldspieler im vergangenen Winter verpflichtet, weil zu diesem Zeitpunkt angeblich kein deutscher Profi ähnlicher Qualität auf dem Markt war. Auch damals musste Mäzen Klaus-Michael Kühne viel Geld beisteuern. Schwierig war der Transfer auch, weil Walace nur zu 60 Prozent Gremio gehörte, den Rest teilten sich zwei Konsortien. Damals trauten viele dem entwicklungsfähigen Südamerikaner kaum zu, dem HSV sofort im Abstiegskampf zu helfen. Zunächst überraschte er mit guten Auftritten. Dann aber fiel er in ein Leistungsloch.

Das Tief dauerte lange. So lange, bis fast alle, einschließlich dem Spieler selbst, die Geduld verloren. Doch nun könnte der neu motivierte Walace zusammen mit dem schwedischen Nationalspieler Albin Ekdal, falls dieser mal eine Weile gesund bleibt, bis zum Saisonende die Doppel-Sechs bilden - und so die Basis für das nächste HSV-Wunder im Abstiegskampf sein. Das wäre dann zwar noch nicht die Erfüllung eines brasilianischen Versprechens. Aber immerhin ein erstes Happy End.