- Das ganze Wochenende wollen Union und SPD verhandeln und "Dissenspunkte" ausräumen. Über einige Punkte haben sie sich aber schon geeinigt.
- Ein milliardenschweres Bildungspaket soll für Ganztagsbetreuung und gebührenfreie Bildung sorgen. Außerdem wollen Union und SPD das Kooperationsverbot abschaffen.
- Mit zwölf Milliarden sollen Kommunen gefördert werden. Auch für das Ehrenamt will der Bund ihnen Geld geben.
- Außerdem sollen die Sparkassen geschützt werden. Zugunsten von Verbrauchern soll es Musterfeststellungsklagen geben.
Klingt abstrakt, ist aber sehr konkret: Am Freitag meldete Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD), sich mit der Union auf die Einführung von "Musterfeststellungsklagen" geeinigt zu haben. Verbraucher können einfacher als bisher die gerichtliche Feststellung erwirken, dass ein Beklagter zu einer Zahlung verpflichtet ist (zum Beispiel ein Autohersteller, der seine Kunden beim Diesel betrogen hat): Ein Verbraucher würde in einem Musterverfahren klagen, alle anderen könnten sich später darauf berufen. Union und SPD trafen sich am Freitag zur finalen Verhandlungsrunde, sie wollen offiziell bis Sonntag mit den Koalitionsgesprächen fertig werden. SPD-Chef Martin Schulz sieht allerdings keinen Zeitdruck. Es gebe noch "eine Menge Verhandlungsbedarf", etwa bei der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen und in der Gesundheitspolitik. Es müsse "Sorgfalt vor Schnelligkeit" gehen. Union und SPD streiten zudem erbittert darüber, ob die Kosten der Luxussanierung von Wohnungen auf Mieter umgewälzt werden dürfen. Der Streit blockiert andere Einigungen wie etwa die über das Baukindergeld. Angela Merkel sah noch "ein Riesenstück Arbeit vor uns" und bestätigte "eine ganze Reihe sehr ernster Dissenspunkte". CSU-Chef Horst Seehofer sagte, er hoffe, "dass wir es schaffen in den nächsten Tagen".
Zuvor hatten sich CDU, CSU und SPD in den Arbeitsgruppen auf weitere Projekte verständigt - insbesondere sollen Bildung, Stadt und Land sowie gesellschaftlicher Zusammenhalt gefördert werden.
Union und SPD betreiben die Verzwergung der großen Koalition
Bildung
Union und SPD haben ein Bildungspaket im Volumen von fast zehn Milliarden Euro bis 2021 beschlossen. SPD-Vizechefin Manuela Schwesig sprach von einem "Leuchtturmprojekt" einer neuen großen Koalition. Ziel sei, die Bildung gebührenfrei zu machen - von der Kita bis zur Hochschule. Konkret vereinbart wurde ein Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder vom Jahr 2025 an. Dazu wird der Ausbau der Ganztagsschulen und der Betreuungseinrichtungen mit zwei Milliarden Euro vorangetrieben. 3,5 Milliarden Euro sind in den nächsten vier Jahren für die digitale Ausstattung der Schulen eingeplant, nach 2021 sollen weitere 1,5 Milliarden Euro aus dem bereits 2016 angekündigten "Digitalpakt" fließen. Eine weitere Milliarde soll investiert werden, um das Bafög zu erhöhen, "förderbedürftige Auszubildende" sollen besser erreicht werden.
Schulsanierungen und Neubauten sollen erleichtert werden. Da das Grundgesetz Finanzhilfen des Bundes bisher nur an finanzschwache Gemeinden erlaubt, ist hierfür eine Verfassungsänderung nötig: Der Zusatz "finanzschwach" soll wegfallen. SPD, FDP und Grüne dringen schon länger darauf, das seit 2006 bestehende Kooperationsverbot abzuschaffen. Die Union hatte sich gesträubt, vor allem die CSU sah den Föderalismus in Gefahr. Nun lobt der bayerische Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) die Einigung als "ein Stück Zukunft" - und betont: Der Bund investiere in die Infrastruktur der Schulen, inhaltlich bleibe die Bildung in der Verantwortung der Länder.
Für Hochschulen werden die Finanzierungsregeln gelockert. Bisher durfte der Bund nur bei kurzfristigen Programmen und Forschungsprojekten helfen. Jetzt sollen Bundesmittel für Gebäude und Lehrpersonal eingesetzt werden dürfen. Das erhöht die Planungssicherheit der Unis und soll die Lehre verbessern. Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen sollen vom Bund unterstützt werden, wenn sie ihren Frauenanteil erhöhen. "Wir wollen dazu beitragen, dass Frauen vermehrt Führungspositionen in Hochschulen und Forschungseinrichtungen übernehmen", heißt es in dem Papier.
Die berufliche Bildung soll "für uns gleichwertig mit der akademischen Bildung" sein, haben die Verhandler zudem in ihr Papier geschrieben. Vereinbart ist eine Mindestvergütung für die Ausbildung.
Kommunale Förderung und Diesel-Nachrüstung
Für die laufende Legislaturperiode will der Bund zwölf Milliarden Euro bereitstellen, um ländliche Räume sowie Städte zu fördern und kommunale Programme fortzuführen. "Unser Ziel sind gleichwertige Lebensverhältnisse in handlungs- und leistungsfähigen Kommunen, in Ost und West", heißt es in dem Papier der Arbeitsgruppe. Außerdem verständigten sich die Unterhändler darauf, Fahrverbote vermeiden zu wollen. Um die gesetzlichen Grenzwerte bei Luftschadstoffen in Ballungsgebieten einhalten zu können, soll Geld aus dem Dieselfonds verwendet werden.
Union und SPD verständigten sich zudem darauf, eine aufwendigere Nachrüstung von Diesel-Autos zu ermöglichen. Die Umstellung auf E-Autos soll beschleunigt, die Lkw-Maut reformiert und der öffentliche Nahverkehr gefördert werden.
Das Bildungspaket beseitigt einen Irrtum
Ehrenamts-Euro
Union und SPD wollen das ehrenamtliche Engagement stärken. Es trage "existenziell" zum Zusammenhalt der Gesellschaft bei und sei in ländlichen Regionen sogar "eine tragende Säule der Daseinsvorsorge sowie einer lebendigen und funktionierenden Demokratie", schreiben die Unterhändler. Die neue Groko plant "eine zentrale Anlaufstelle für das Ehrenamt" bei der Bundesregierung. Arbeitgeber sollen ihre Angestellten unterstützen, ehrenamtlich tätig zu sein. Dazu sollen "steuer- und abgabenrechtliche Hürden" abgebaut werden. Der Bund will jährlich einen Euro pro Einwohner zur Stärkung des Ehrenamtes an Kommunen überweisen, sofern diese dazu den gleichen Betrag bereitstellen.
Schutz der Sparkassen
Eine neue Groko will etwas gegen das Filialsterben der Banken tun. Die Arbeitsgruppe Finanzen und Steuern verständigte sich darauf, regionale Banken unter besonderen Schutz zu stellen. Sparkassen, Genossenschaftsbanken und Förderbanken seien "wichtige Finanzpartner vieler Menschen und Unternehmen", schreiben die Unterhändler. "Wir kämpfen daher für ihren Erhalt." Konkret ist geplant, die genannten Banken von bestimmten Auflagen zu befreien. Ob damit die umstrittene europaweite Einlagensicherung oder Auflagen für Eigenkapital gemeint sind, bleibt offen. Ausdrücklich erwähnt wird, dass Bezahlen mit Bargeld weiterhin möglich bleiben wird.