"Tatort" Ich war süchtig nach dem Tatort - aber das ist vorbei

Der erste Tatort, der dem Entzug zum Opfer fiel: "Déjà-vu" vom vergangenen Sonntag.

(Foto: MDR/Wiedemann & Berg/Daniela Inc)

Nach 43 Jahren und 1045 Folgen macht unser Autor Schluss mit seiner Sonntags-Liebe. Man hat sich auseinandergelebt. Und ödet sich an.

Von Gerhard Matzig

Wenn man Schluss macht, wenn es aus und vorbei ist für immer und ewig, wenn der Sonntagabend nie mehr sein wird, was der Sonntagabend sein muss, dann wünscht man sich zum Abschied etwas Größe. Etwas Würde, Dramatik und Poesie. Etwas, das man mitnimmt in die entschlossene Einsamkeit, die nun vor einem liegt wie das Ende einer langen Reise in die dunkle Fernsehnacht. Also zum Beispiel so etwas wie am Ende von Spiel mir das Lied vom Tod. Da sagt Claudia Cardinale zu Charles Bronson: "Sweetwater wartet auf dich." Und Bronson sagt das, was man sich auch gut auf dem eigenen Grabstein vorstellen kann. Eine in Stein gemeißelte Wahrheit. Er sagt: "Irgendeiner wartet immer."

Warum sagt das Freddy nicht? (Der eigentlich Alfred Schenk heißt und noch eigentlicher Dietmar Bär - aber nach 20 Jahren Köln-Tatort mit 71 Einsätzen der Kommissare Ballauf und Schenk duzt man sich. Man kennt sich, immerhin.) In der 1044. Folge "Bausünden" vom vorletzten Sonntag sagt er am Schluss vollkommen unbronsonhaft: "Schreibst es auf, nää!?" Dass dieser Satz nicht weiß, ob er mit einem Ausrufezeichen oder einem Fragezeichen enden soll, ist kein Zufall.

Wenn es doch nur um "Bausünden" gehen würde

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So sitzt man da und fragt sich, ob es das jetzt also gewesen sein soll: die Pommesbude am Rhein, das Kölsch und bitte anschreiben lassen. Die Zuschauer haben in der ARD-Mediathek die Folge "Bausünden" durchschnittlich mit zwei von fünf Sternen bewertet. Das entspricht dem Urteil "mittelmäßig". Ist, was einmal eine gewaltige Liebe war, ein letztes großes Ritual, jetzt einfach nur "mittelmäßig"? Öde? Ein Irrtum? Und wäre dann ein Ende mit Freddy nicht immer noch besser als ein Schrecken ohne Ende? Weshalb man dann auch den Tatort vom vergangenen Sonntag, die Folge "Déjà-vu", nicht mehr gesehen hat.

Kein Tatort. Am Sonntag. Nach 43 Jahren. Das muss man sich mal vorstellen. Eigentlich dachte man ja, die Erde würde bestimmt gleich aufhören zu rotieren. Sie hörte aber nicht auf damit - und man selbst saß schließlich im Wohnzimmer und las etwas über die Hintergründe des Münchner Abkommens von 1938. Hitler, Mussolini und Chamberlain waren einem nun wichtiger als die Kommissare Sieland, Gorniak und Schnabel und ihr Déjà-vu. Übrigens wusste man ja gar nicht, dass Chamberlain einmal Sisalpflanzer auf den Bahamas war.

Schlechtester Quotendurchschnitt der vergangenen sechs Jahre

Genau wie man auch nicht wusste, dass es die Damen Sieland und Gorniak und diesen Schnabel überhaupt gibt. In Dresden. An Leipzig-Tatorte, ja, an die kann man sich noch erinnern. Auch daran, dass sich der seltsame, aber bemerkenswerte Hauptkommissar Bruno Ehrlicher nach seiner Amtszeit gegen Ende der Nullerjahre plötzlich als der seltsame Peter Sodann herausstellte, der Bundespräsident werden wollte.

Es ist so: Wenn man die Augen schließt und sich in seinem absurden Trennungsschmerz zurücksehnt in jene Zeit, da man nahezu mit dem Tatort verheiratet war (oder die Drehbücher weniger rätselhaft als die eigene Existenz fand), dann erinnert man sich liebevoll bis ehrlich kitschig an die Jahrzehnte im Zeichen des Sonntags. An eine Ära. Die jedenfalls persönlich mit "Die Abrechnung" im Juni 1975 begonnen hat - mit Folge 52 der Tatort-Serie.