Im dritten Jahr nach 2015, als Europa angesichts des Massenansturms von Flüchtlingen und Zuwanderungswilligen über lange Zeit die Kontrolle über (nicht nur) seine Grenzen verlor, hat der damals amtierende Bundespräsident des Hauptziellands Deutschland, Joachim Gauck, einem Bericht der "Zeit" und der "Rheinischen Post" zufolge kürzlich an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf eine Vorlesung gehalten, in der er über so unerwartete wie politisch brisante Schlüsse sprach, zu denen er seither gekommen sei. So habe es ihn etwa sehr "erschreckt", was der neue Multikulturalismus verursacht habe, sagte Gauck. Und, sinngemäß: Es sei unerträglich, vor importierten Problemen und unerwünschten Verhaltensweisen aus politisch korrekter, überzogener Rücksichtnahme die Augen zu verschließen und Kritik zu vermeiden.
Gauck, ein parteiloser Politiker und evangelischer Theologe, war von 2012 bis März 2017 Präsident. Die Vorlesung zum Thema "Nachdenken über das Eigene und Fremde" an der Heinrich-Heine-Universität samt Diskussionsrunde am Folgetag hat sich laut Medienberichten am 31. Jänner und 1. Februar ereignet. Dabei soll seine Rede, quasi eine Analyse des Zustandes der Republik, heftig beklatscht worden sein, wie die Rheinische Post berichtet. Mehr als 1600 Studenten und andere Interessierte hätten in insgesamt vier Hörsälen gelauscht, in drei davon wurde die Lesung per Video übertragen.
Mehr als 1600 Zuhörer beklatschten die Ausführungen
Zunächst soll Gauck festgehalten haben, dass der Umgang mit dem bzw. den Fremden immer ein menschliches, psychologisch bedingtes Grundproblem sei. Fremde lösten "Irritationen aus", würden gern "dämonisiert", räumte er ein, um dann aber den Kurs über weite Strecken zu wechseln. So habe beim Thema Integration Fremder, einem an sich wichtigen und gerechten Anliegen, lange das "Konzept des Multikulturalismus" geherrscht. "Vielfalt galt als Wert an sich", sagte Gauck. Dabei seien aber westliche Wertvorstellungen in ihrer Gültigkeit für Alle als soziale Klammer lange zurückgesetzt worden: Das sei als Toleranz verkauft worden, aber: "Wohin ein solcher Multikulturalismus tatsächlich geführt hat, das hat mich doch erschreckt."
Er fände es sinngenäß „beschämend", die Augen etwa vor der Unterdrückung von Frauen aus islamischen Motiven, vor Zwangsheiraten, Frühheiraten oder Schwimmverboten für Mädchen an Schulen zu verschließen, und konstatierte sogar aus arabischen Staaten eingeschleppten Antisemitismus. Umgekehrt würde Kritik am Islam oder schon allein am Verhalten von Menschen muslimischen Glaubens hierzulande sofort Verdacht auf Rassismus und Islamhass auslösen.
Es gibt Diskriminierer, aber auch Beschwichtiger
Gewiss gebe es Diskrimierung von Moslems in Deutschland, so Gauck. Doch: „Beschwichtiger, die kritikwürdige Verhaltensweisen von einzelnen Migranten unter den Teppich kehren, um Rassismus keinen Vorschub zu leisten, bestätigen Rassisten nur in ihrem Verdacht, die Meinungsfreiheit in unserem Land sei eingeschränkt." So mache man sich letztlich zu Verbündeten von Islamisten, die ebenfalls jeden Widerspruch als "rassistisch" verunglimpfen würden.
Zu viele Immigranten in Deutschland würden zu "abgesondert" und mit Werten leben, die Gesetzen und Mentalität der Stammbevölkerung in Deutschland widersprächen. Viele lebten seit Jahrzehnten hier, ohne sich besonders fürs Gastland und dessen Geschichte zu interessieren.
Grenzen der Weltoffenheit
Letztlich dürfe man einen Nationalstaat, so Gauck wörtlich, in Fragen der Aufnahme Fremder nicht überfordern: "Wer sich vorstellt, als imaginierter Vertreter eines Weltbürgertums alle Grenzen des Nationalstaates hinwegzunehmen, überfordert nicht nur die (...) Möglichkeiten eines jeden Staates, sondern auch die psychischen Möglichkeiten seiner Bürger." Sogar der "weltoffene Mensch" sei schnell an seinen Grenzen, wenn sich Entwicklungen etwa kultureller Art zu schnell vollzögen.
Vor Gauck hatten an an der besagten Universität unter anderem Ex-Bundespräsident Richard von Weizsäcker, Ex-Kanzler Helmut Schmidt und der Liedermacher Wolf Biermann als Gastprofessoren gewirkt.
Gauck, der aus Mecklenburg-Vorpommern stammt, war früher wiederholt durch Äußerungen aufgefallen, die man als islamkritisch auslegen kann, wenn man nur will. Etwa, als er 2012 über den Satz seines Amtsvorgängers Christian Wulff - "Der Islam gehört zu Deutschland" - sagte, den könne er so nicht übernehmen, das sei zu einfach und unkritisch. Zudem meinte er über das umstrittene zuwanderungskritische Buch "Deutschland schafft sich ab" des ehemaligen Berliner Finanzsenators Thilo Sarrazin von 2010, Sarrazin beweise „Mut", solche Probleme überhaupt offen anzusprechen, wenngleich er seine "biologistischen Herleitungen" nicht unbedingt teile.
Kritik an "Sprache der politischen Korrektheit"
Und: Die Politik könne aus dem Bucherfolg Sarrazins lernen, dass „die Sprache der politischen Korrektheit bei den Menschen das Gefühl weckt, dass die wirklichen Probleme verschleiert werden sollen".
Im Zuge der Flüchtlingskrise 2015 und deren Folgezeit hatte Gauck als Bundespräsident einerseits die humanitäre Verpflichtung zur Aufnahme fliehender Menschen betont und sich tief beeindruckt von Hilfsbereitschaft und Engagement der zahllosen Helfer gezeigt. Dessen ungeachtet sah er den Zustrom auch mit Sorge: Die Einheimischen würden überfordert, es drohten soziale Spannungen. Wichtig sei daher vor allem auch die Aufrechterhaltung der inneren Ordnung, des sozialen Friedens und die Sicherung der Grenzen Europas. „Wir wollen helfen. Unser Herz ist weit. Doch unsere Möglichkeiten sind endlich", so Gauck im September 2015.
Es ist übrigens interessant, dass manche deutsche Medien bei ihren Berichten über Gaucks Gastvorlesung die kritischen Passagen über Migration, Multikulturalismus und politische Korrektheit großteils ausließen und etwa titelten: "Gaucks Rede gegen Angst vor Zuwanderung".
>>> Bericht der Rheinischen Post
>>> Heinrich-Heine-Universität
(ag./red.)