Heiko Vogel: "Ein guter Jockey war auch nie ein Pferd"

Der neue Trainer von Tabellenführer Sturm Graz über Demut, Romantik, die Lust auf Titel, Selbstreflexion und Glückseligkeit. Für den Deutschen ist Fußball "das geilste Spiel der Welt"

STANDARD: In der deutschen Bundesliga wurden in 20 Runden bereits sieben Trainer gefeuert. Was sagt das über die Branche aus?

Vogel: Das ist eine Entwicklung, die ich definitiv nicht gutheiße. Trainerwechsel sind nicht immer das Allheilmittel. Es ist alles zu schnelllebig, zu oberflächlich. Die Lage ist besorgniserregend.

STANDARD: Es heißt, der Trainer ist einer der wichtigsten Bestandteile einer Fußballmannschaft. Ist er nicht auch das schwächste Glied?

Vogel: Ja, es ist ein zweischneidiges Schwert. Natürlich ist man für die Inhalte, die die Mannschaft betreffen, federführend verantwortlich und hat den größtmöglichen Einfluss. Was kein Trainer auf der Welt beeinflussen kann, ist das Wettkampfglück. Deswegen ist der Fußball auch so populär, so spannend. Im Pokal kann der Drittligist den Erstligisten rauswerfen, der David kann den Goliath schlagen. Im Handball gewinnt immer der Erstligist.

STANDARD: Sind Sie ein Fußballromantiker?

Vogel: Mit Sicherheit, aber ich bin kein bisschen naiv. Fußballromantik ist leider Gottes gestrig.

STANDARD: Vor dem Engagement bei Sturm hatten Sie ein Dreivierteljahr lang keinen Job. Wie hart war das, plagten Sie Selbstzweifel?

Vogel: Was heißt hart? Ich habe selbst entschieden, den Vertrag bei Bayern München nicht zu erfüllen. Ich sehe meinen Job als Privileg, weil ich mein Hobby zum Beruf machen konnte. Ich bin ein freier Mensch, Zufriedenheit und Glückseligkeit stehen im Vordergrund. Ich habe in dieser Zeit durchgeschnauft, war ein Stück leer. Selbstzweifel gibt es nicht, Selbstreflexion ist von Bedeutung. Wer zweifelt, hat sowieso keine Chance. Man darf sich aber definitiv hinterfragen, das hat mit Evolution zu tun, wenn du dich als Mensch und Trainer weiterentwickelst. Ich schaue gerne über den Tellerrand hinaus, hole mir Anregungen bei Trainern im Football, Handball oder Basketball. Die Anatomie von erfolgreichen Teams ist sehr ähnlich, sie ist sporartenübergreifend.

STANDARD: Sie haben als Deutscher gesagt, es ist ein Privileg, Trainer von Sturm sein zu dürfen. Ist Demut eine Charaktereigenschaft?

Vogel: Für mich ist Fußball das geilste Spiel der Welt. Ob ich demütig bin? Jeder muss wissen, was für ihn wertvoll ist. Ich will Titel, das treibt mich an. Gewinnst du, stehen Schulterklopfer Schlange. Verlierst du dreimal, bist du der größte Depp. Gerade wenn es läuft, sollst du demütig sein, denn so erträgst du die Niederlagen leichter. Demut dient dazu, Dinge richtig einzuschätzen.

STANDARD: Als Fußballer sind Sie eher gescheitert. Bei allem Respekt vor dem SV Edenkoben und der deutschen Regionalliga West/Südwest, zu mehr hat es nicht gereicht. Fehlte das Talent? Ist es vielleicht sogar von Vorteil, Trainer ohne eigene Kickerkarriere zu sein?

Vogel: Aus meiner Sicht hat der Trainerberuf mit dem Spielerberuf nichts zu tun. Als Spieler ist man Konsument, der Trainer steuert den Konsum, füllt ihn mit Inhalten. Ein guter Jockey war auch nie ein Pferd. Es kränkt mich nicht, maximal ein mittelmäßiger Fußballer gewesen zu sein.

STANDARD: Haben Sie ein Motto, einen Leitsatz, ein Lieblingsbuch?

Vogel: Nein. Es gibt kein Buch, das ich Ihren Lesern empfehlen möchte. Es gibt viele gute Bücher, ich will keines ausgrenzen.

STANDARD: Bei Sturm herrscht eine im Fußball untypische Situation. Franco Foda wurde Teamchef, ging freiwillig, übergibt die Mannschaft als Tabellenführer. Normalerweise übernimmt man einen frustrierten Haufen. Macht das die Aufgabe einfacher oder schwieriger?

Vogel: Ich bin Feuer und Flamme, habe Ideen und Visionen. Es ist ein Luxus, eine Mannschaft zu übernehmen, bei der der Trainer gegangen ist, obwohl er sehr erfolgreich war. Erfolgreiche Mannschaften sind in der Regel selbstbewusst, das konnte ich in Graz von der ersten Sekunde an feststellen. Das macht es einfacher.

STANDARD: Man hört, Sie legen Wert auf mehr Ballbesitz. Funktionierendes soll ja nicht unbedingt verändert werden. Muss man da sehr sensibel agieren? Wie schaut Vogels Fußball im Idealfall aus?

Vogel: Ballbesitzfußball klingt abgedroschen. Hat meine Mannschaft zu 70 Prozent den Ball, dann muss der Gegner mit 30 Prozent versuchen, ein Tor zu erzielen. Schafft er das, hat er vielleicht die Chance zu gewinnen. Es ist angenehmer, häufiger den Ball zu haben. Ich bin ein agierender, kein reagierender Mensch. Ich will nicht abwarten, was der Gegner macht. Ich will gestalten.

STANDARD: Aber was macht man gegen einen stärkeren Gegner, zum Beispiel Red Bull Salzburg? Ist da Schlauheit gefragt?

Vogel: Schlauheit ist immer gefragt. Man darf nicht so despektierlich sein und nur Red Bull Salzburg erwähnen. Wir spielen am Samstag in Mattersburg, und das wird superschwer. Ich muss gegen Salzburg nicht schlauer als gegen Mattersburg sein. Es gibt keine Bequemlichkeit.

STANDARD: Sturm hat einen Punkt mehr als Salzburg, in Sachen Umsatz steht es allerdings 17 zu 108 Millionen Euro. Spielt jetzt Geld Fußball oder doch nicht?

Vogel: Man kann es auf diesen Punkt bringen: Die Wahrscheinlichkeit, dass Geld Fußball spielt, ist hoch. Aber es gibt keine Garantie, dass Salzburg Meister wird.

STANDARD: Sie haben gesagt, ein Ziel beginnt mit einem Traum. Was ist Ihr Traum, Ihr Ziel?

Vogel: Mein Traum ist es, einen Titel zu holen. Das ist nichts Besonderes. Mein Mattersburger Kollege Gerald Baumgartner würde wohl genauso antworten. Fußball ist ein Kommen und Gehen, Verträge werden gemacht und aufgelöst, aber Titel bleiben. Welches Ziel ich habe? In Mattersburg erfolgreich starten. Ich denke von Spiel zu Spiel. (Christian Hackl, 2.2.2018)