Sotschi. Zu einem syrischen Friedenskongress hat Russland mehrere hundert Vertreter der Regierung und der gemäßigten Opposition aus dem Bürgerkriegsland versammelt. Vertreter der bewaffneten Opposition und der Kurden boykottierten den sogenannten Kongress der Völker Syriens in Sotschi. Überschattet wurde der russische Versuch, ein neues Gesprächsformat zu gründen, von heftigen Kämpfen mit vielen Toten.
Der UNO-Sondergesandte für Syrien, Staffan de Mistura, kam am Montag in den russischen Badeort am Schwarzen Meer. Westliche Staaten fehlten aber als Beobachter. "Dass einige Kräfte aus Syrien fehlen, schmälert die Bedeutung des Kongresses nicht", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow in Moskau. Auf dem Weg zu einer politischen Lösung helfe nur geduldige Arbeit. Dabei sei Sotschi ein wichtiger Schritt. Laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Interfax soll in Sotschi auch eine neue Verfassung für das Bürgerkriegsland erarbeitet werden, unter Leitung von De Mistura.
Moskau will, dass bei dem Kongress alle Volks- und Religionsgruppen Syriens über eine Nachkriegsordnung beraten. Mitveranstalter sind der Iran und die Türkei. In dem seit 2011 dauernden Syrien-Konflikt, der sich zu einem Krieg mit vielen Akteuren ausgewachsen hat, sind nach UNO-Angaben bisher mehr als 400.000 Menschen getötet worden.
1700 Einladungen versandt
Russland hatte nach eigenen Angaben etwa 1700 Einladungen versandt. Auf dem Flughafen von Sotschi landeten auch Charterflüge aus Damaskus. Für die Opposition würden etwa 320 Vertreter erwartet, meldete die Agentur Interfax unter Berufung auf syrische Quellen.
Die meisten von ihnen vertreten Kräfte, die eine Zusammenarbeit mit Präsident Bashar al-Assad nicht grundsätzlich ausschließen. So entsandte Ahmed Jarba, der ehemalige Präsident der Syrischen Nationalkoalition, etwa 50 Anhänger, ebenso viele wie die in Frankreich lebende säkulare Politikerin Randa Kassis.
Das oppositionelle Syrische Verhandlungskomitee (HNC) boykottiert den Kongress aus Protest gegen die unbeugsame Haltung der Regierung im UNO-geführten Genfer Friedensprozess. "Das Regime setzt auf eine militärische Lösung und zeigt keinen Willen, ernsthaft politische Verhandlungen zu beginnen", sagte der Chefunterhändler der Opposition, Nasr Hariri, zur Begründung des Boykotts. Die Einladung an das HNC bestehe aber weiter, sagte der russische Syrien-Unterhändler Alexander Lawrentjew. Syrische Kurden würden nicht organisiert, aber auf Einzeleinladung an dem Kongress teilnehmen. Am Montag trafen die Delegationen ein, die Hauptberatungen sind für Dienstag vorgesehen.
Neue Verfassung für Syrien
Russland plant den Kongress seit langem und hat im Jänner 2017 den Entwurf einer neuen Verfassung für Syrien vorgelegt. Allerdings greifen derzeit syrische und russische Truppen Rebellenstellungen in der nordwestlichen Provinz Idlib an. Dort wurden in dieser Woche 33 Menschen getötet.
Die Türkei geht militärisch gegen die Kurden in der nördlichen Region Afrin vor. Bei Luftangriffen kamen nach lokalen Berichten seit Sonntag 25 Menschen um. In Sotschi sei keine Lösung möglich, solange Menschen in Syrien aus der Luft angegriffen würden, teilte die kurdische Autonomieverwaltung mit.
Laut der oppositionsnahen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte wurden seit Beginn der türkischen Offensive bereits 55 Zivilisten getötet. Zudem seien 78 kurdische Kämpfer und 76 protürkische Rebellen gestorben
3000 Jahre alter Tempel beschädigt
Bei türkischen Luftangriffen soll in der Region Afrin auch ein 3000 Jahre alter hittitischer Tempel schwer beschädigt worden sein. Die Beobachtungsstelle und die syrische Antikenbehörde teilten am Sonntag mit, der Luftangriff am Freitag habe die Tempelanlage von Ain Dara getroffen, die aus der aramäischen Ära zwischen 1300 und 700 vor Christus stammt. Die Antikenbehörde in Damaskus sprach von einem Angriff auf "eine der wichtigsten Bauten der Aramäer in Syrien im ersten Jahrtausend vor Christus". Der frühere Antikendirektor Maamun Abdulkarim sagte, der Tempel sei 1982 entdeckt worden und sei bekannt für seine "außergewöhnlichen kolossalen Basaltlöwen". Abdulkarim beklagte, dass "3000 Jahre Zivilisation bei einem Luftangriff zerstört" worden seien.
Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu reiste unterdessen zu einem Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin nach Moskau. Im Vorfeld lobte er die "erfolgreiche" Koordination der israelischen und russischen Streitkräfte in Syrien. Die beiden Staaten verfolgen Interessen, die alles andere als deckungsgleich sind. Die israelische Armee bekämpft nämlich die schiitische Hisbollah, die wie Russland die syrischen Regierungstruppen unterstützt.