Bundesliga Abstiegskampf der Akademiker

Stuttgarts Trainer Hannes Wolf umarmt Defensivspieler Benjamin Pavard.

(Foto: dpa)

Kein Huub Stevens, dafür Hannes Wolf und Florian Kohfeldt: Der Kampf um den Klassenerhalt stellt in dieser Saison den modernen Trainertypus auf die Probe.

Kommentar von Christof Kneer

Mehmet Scholl war nicht im Presseraum, das war natürlich schon ein bisschen schade. Es hätte ihn bestimmt interessiert, die beiden jungen Trainer da oben auf dem Podium über Gegenpressing referieren zu hören. Der Stuttgarter Hannes Wolf sprach dann noch über "Bälle vor den Ketten", und der Schalker Domenico Tedesco sagte, man habe "Ball und Gegner über die Sechserposition bewegen wollen". Der deutsche Fußball sei "Studenten" in die Hände gefallen, hatte Scholl kürzlich geschimpft und dabei explizit die Namen Tedesco und Wolf erwähnt.

Nach den Erkenntnissen der ersten 20 Spieltage hätte man als deutscher Fußball aber möglicherweise gar nicht so viel dagegen, wenn man zum Beispiel diesem Tedesco in die Hände fallen würde, der aus Schalke 04 eine stabile, strukturierte, geradezu coole Mannschaft gemacht hat. Und Hannes Wolf? Hat den Menschen in Stuttgart anderthalb schöne Jahre geschenkt, mit vielen Heimsiegen und identitätsstiftenden Momenten - und jetzt, nach einem 0:2 gegen Schalke, muss er sich plötzlich Fragen anhören, die so klingen, als sei der Stuttgarter Profifußball aus Versehen Mehmet Scholl in die Hände gefallen.

Wie lange noch mit Wolf? Diese klassischste aller Reporterfragen dominierte nach dem Spiel fast alle Debatten.

Man könnte es natürlich auch so sehen: Der VfB hat im engen Abstiegskampf der Bundesliga einen unschätzbaren Vorteil. Er hat seinen Trainer noch nicht entlassen. Die Kölner haben diesen Schritt bereits vollzogen, die Wolfsburger und Bremer ebenso und zuletzt auch der Hamburger SV, und sie alle haben zumindest vorübergehend von jenem rätselhaften Impuls profitiert, der sich mit der Akademikerlogik von Tedesco und Wolf eher nicht erklären lässt. Mannschaften wirken nach Trainerwechseln mitunter plötzlich befreit, obwohl niemand behaupten und schon gar nicht nachweisen kann, dass Stefan Ruthenbeck - zum Beispiel - ein besserer Trainer ist als Peter Stöger, nur weil er in Köln jetzt jene Punkte holt, die Stöger zuvor nicht geholt hat. Und ob Bernd Hollerbachs Hamburger beim Favoriten in Leipzig ein Unentschieden geschafft haben, weil ihr neuer Trainer ein Riesentyp ist und sein Vorgänger ein Nichtskönner?

Beim VfB kämpfen sie noch um ihren Hannes Wolf, der im Aufstiegsjahr ein bemerkenswert souveräner Coach war. Aber schon am kommenden Wochenende, in Wolfsburg, könnte sich zeigen, ob die Stuttgarter es sich leisten können, ihrem Coach weiter zu vertrauen. Das ist ja das Pikante am Abstiegskampf: dass er jenen speziellen Trainertypus auf die Probe stellt, den Mehmet Scholl für den Untergang des deutschen Fußballs hält. In Köln versucht sich der ehemalige Jugendtrainer Ruthenbeck an einem mittelschweren Wunder; in Bremen verfolgt der ehemalige Amateurtrainer Kohfeldt den ambitionierten Plan, mitten im Abstiegskampf die künstlerische Ader wieder zu entdecken; in Mainz hat der ehemalige Amateurtrainer Schwarz den Kampf gegen die Elemente angenommen; und in Stuttgart muss sich nun der ehemalige Jugendtrainer Wolf auf großer Bühne als Krisenbewältiger beweisen.

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Es ist bisher ein Abstiegskampf ganz ohne Huub Stevens und Bruno Labbadia, also ohne jene traditionellen Nothelfer, die ihre Mannschaften erst mal 20 Meter nach hinten schicken und anschließend ins Trainingslager in die Sportschule fahren. Einzig die Hamburger haben sich bisher auf eine Art Neo-Nothelfer eingelassen, sie setzen auf Bernd Hollerbach, einen sehr direkten Nachfahren Felix Magaths. Aber ansonsten ist ausgerechnet der finstere Abstiegskampf mit seinen Wellen und seiner unberechenbaren Eigendynamik eine durchaus akademische Veranstaltung geworden, was nach Mehmet Scholls Logik zu einem atemberaubend neuen Ergebnis führen müsste. Es müsste ja, so gesehen, alle Mannschaften erwischen.