Trotz Entspannung weiter hohe Lawinengefahr in Tiroler Bergen

Video23. Jänner 2018, 08:35

Oberhalb von 2.000 Metern gilt noch Warnstufe vier, Erkundungsflüge sind geplant

Innsbruck – Die Experten des Landes Tirol haben am Dienstag eine leichte Entspannung bei der Lawinengefahr gemeldet. Oberhalb von 2.000 Metern wurde sie jedoch weiterhin als groß eingestuft, also mit Stufe vier der fünfteiligen Skala. Am Tag zuvor galt in den westlichen Regionen sogar die höchste Gefahrenstufe.

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In Tirol waren aufgrund der Kombination von starkem Schneefall und anschließendem Regen viele Straßen wegen Lawinengefahr gesperrt, Orte eingeschneit und Zugverbindungen blockiert.

Experten raten von Skitouren ab

Neuschnee und frischer Triebschnee seien weiter störanfällig und könnten schon bei geringer Zusatzbelastung als Lawine ausgelöst werden. Die Experten rieten von Skitouren und Variantenfahrten ab, diese erforderten viel Erfahrung. Die Gefahr von spontanen, trockenen Lawinen habe mit dem Ende der Niederschlagstätigkeit aber abgenommen, hieß es. In tiefen und mittleren Lagen sei jedoch die Durchfeuchtung der Schneedecke zu beachten. Hier könnten Nassschnee- und Gleitschneelawinen von selbst auslösen.

Risiko bleibt in Niederösterreich teilweise groß

Die Lawinengefahr in Niederösterreich ist am Dienstag weiter zum Teil als groß beurteilt worden. Die zweithöchste Stufe 4 herrschte in den Ybbstaler Alpen und im Rax-Schneeberggebiet oberhalb der Waldgrenze. Darunter und in den Türnitzer Alpen wurde das Risiko als erheblich (Stufe 3) eingeschätzt. Zur Tendenz hieß es, mit der starken Erwärmung steige am Mittwoch die Aktivität spontaner Lawinen an.

Im Tourenbereich bilde oberhalb der Waldgrenze der störanfällige Triebschnee das Hauptproblem, berichtete der Warndienst Niederösterreich. "Eine Schneebrettauslösung ist bei geringer Zusatzbelastung wahrscheinlich, kann aber auch spontan abgehen", hieß es. Bei einer Schneebrettauslösung könne es auch zu mittelgroßen Lawinen kommen.

Gefahrenstellen befanden sich weiterhin in kammnahem und -fernem Gelände, hinter Geländekanten und in Hohlformen aller Expositionen. Die Nassschneesituation unterhalb der Waldgrenze sollte sich im Laufe des Vormittags etwas beruhigen. Die spontanen Abgänge werden dem Prognosebericht zufolge seltener, können aber exponierte Verkehrswege treffen.

Für Mittwoch wurde ein verbreitet sonniger und überall niederschlagsfreier Tag erwartet. Die Temperaturen sollten in 1.500 Meter von null Grad in der Früh auf plus sieben Grad am Abend sprunghaft ansteigen.

Bis zu zwei Meter Neuschnee

Insgesamt fielen seit Samstagabend im Westen und Norden Tirols 150 bis 200 Zentimeter Neuschnee. Zudem waren die Höhenwinde aus Nordwest häufig stark bis stürmisch. Daher sei es oberhalb von 2.000 Metern zu umfangreichen Verfrachtungen gekommen. Darunter sei die Schneedecke durch Regen und milde Temperaturen weitgehend durchfeuchtet und habe entsprechend an Festigkeit verloren.

Am gestrigen Montag wurden Selbstauslösungen vieler mittlerer, vereinzelt auch großer Lawinen gemeldet. Vor allem im Tiroler Oberland und im Außerfern sowie im Sellraintal seien einige Lawinen bis zu gesperrten Straßen abgegangen.

Für heute, Dienstag, waren zahlreiche Erkundungsflüge für die Lawinenkommissionen und für die Wildbach- und Lawinenverbauung unter anderem in den Bezirken Reutte, Landeck und Imst sowie der Stadt Innsbruck geplant. Die Einsätze werden vom Landeshubschrauber aus Innsbruck und von ein bis zwei Bundesheer-Helikoptern sowie einem Privathubschrauber von der Pontlatzkaserne in Landeck durchgeführt. Danach könne die Lawinenkommissionen die Lage neu beurteilen.

Auch leichte Entspannung in Vorarlberg

Aufgrund der anhaltenden Schneefälle hat sich die Lawinengefahr in Vorarlberg am Dienstag vorerst nur leicht entspannt. Zwar wurde im Raum Gargellen die höchste Lawinenwarnstufe fünf widerrufen, in den höheren Lagen herrschte aber weiter landesweit große Lawinengefahr der Stufe vier. Die Arlberg-Orte Lech, Zürs und Stuben sowie Gargellen im Montafon waren nach wie vor von der Umwelt abgeschnitten.

Oberhalb von 1.600 Meter kamen am Montag und in der Nacht auf Dienstag noch einmal 20 bis 40 Zentimeter an Neuschnee hinzu, lokal auch ein halber Meter. Kräftiger Wind bewirkte speziell in höheren Lagen weitere Verfrachtungen. Als Gefahrenstellen für Lawinenabgänge nannte Experte Andreas Pecl insbesondere Kammlagen, eingewehte Steilhänge sowie Rinnen und Mulden.

Wie lange die Straßensperren in die Arlberg-Orte und nach Gargellen aufrecht bleiben, war vorerst nicht abschätzbar. Die Arlbergbahnstrecke, die am Sonntag zwischen Bludenz und Landeck-Zams wegen akuter Lawinengefahr geschlossen wurde, sollte nach aktueller Information der ÖBB ab 9.00 Uhr wieder befahren werden.

Schneelast auf Dächern

Doch Vorsicht ist nicht nur am Berg geboten, wie Meteorologe Karl Gabl erklärt. Denn die großen Schneemengen bedeuten für die Dächer der Häuser eine enorme Belastung. In Österreich gelten diesbezüglich unterschiedliche Normen. Während Dächer in Wien nur rund 80 Kilo pro Quadratmeter aushalten müssen, liegt die maximale Schneelast in Warth etwa bei 1,4 Tonnen. In St. Anton beträgt die Normlast 450 Kilo pro Quadratmeter. Derzeit komme man auf bis zu 400 Kilo, schätzt Gabl: "Man kann daher schon von einem extremen Ereignis sprechen."

Der Experte empfiehlt, die Dächer wenn möglich vom Schnee zu befreien. Er warnt aber davor, dies ohne Seilsicherung zu tun, weil Absturzgefahr bestehe. Zudem sei erhöhte Vorsicht geboten, wenn Kinder bei solchen Schneemengen im Freien spielen. Gabl rät, sie nicht aus den Augen zu lassen, da Erstickungsgefahr bestehe, sollten sie unter den Schneemassen zu liegen kommen. (Steffen Arora, Michael Simoner, APA, 22.1.2018)

Wissen: Langfristig immer weniger Schnee in Österreich

Angesichts der derzeitigen Schneemassen in weiten Teil des Landes mag es kaum zu glauben sein, aber längerfristig betrachtet gibt es immer weniger Schnee in Österreich. Seit 1950 sind sowohl die Schneehöhen als auch die Dauer der Schneedecke kontinuierlich zurückgegangen. Das hat das Projekt Snowpat ("Schneeglöckchen") ergeben, die bisher umfassendste Untersuchung zur Entwicklung der Schneelage in Österreich, die von der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) und der Universität Graz durchgeführt wurde.

Das langfristige Schneeminus gelte besonders (aber nicht nur) für tiefe und mittlere Höhen, da es hier durch die Klimaerwärmung immer öfter regnen statt schneien werde beziehungsweise gefallener Schnee schneller wieder schmelzen werde. Beispiele:

Die Werte seien von starken Schwankungen und Trends überlagert, die von Winter zu Winter oder teils sogar bis zu 20 Jahre dauern könnten, betonen die Experten.