Volkswagen plant, ab 2021 selbstfahrende Autos zu bauen. Dafür holt sich der Konzern Hilfe aus dem Silicon Valley - und beschneidet die Kompetenzen von Audi.
Ohne den Mann mit Sonnenbrille und Hut wäre die Automobilgeschichte wohl anders verlaufen. Dabei hat Larry Page mit Autos nicht viel am Hut. Es sei denn, sie fahren autonom. So wie in Victorville. Das Kaff im Süden Kaliforniens wurde 2007 zum Austragungsort für ein besonderes Rennen: Zwei Millionen US-Dollar lobte die US-Militärforschungsagentur Darpa für das Roboterauto aus, das als erstes 100 Kilometer im Stadtverkehr zurücklegen kann. "Auf dem ausrangierten Flugfeld war ganz schön was los", erinnert sich Chris Urmson, Leiter des Teams der Carnegie Mellon Universität (CMU) "nicht nur wegen der vielen Zuschauer, sondern auch aufgrund der Stuntfahrer, die den Stadtverkehr simulieren sollten." Urmsons Chevrolet "Boss" konnte am Ende 20 Minuten Vorsprung herausfahren.
Die verrückten Kisten boten gute Unterhaltung. Obwohl die Wagendächer mit Kameras, Radar- und Lidarsensoren vollgepackt waren, kam es bei der Urban Challenge immer wieder zu Unfällen. "High-Impact Research" - Forschung mit krachendem Erfolg - nannte Sebastian Thrun die Crash-Rallye. Mit der Stanford Universität hatte er die Grand Challenge 2005 in der Mojave-Wüste gewonnen. In Victorville versuchte er, seinen Titel zu verteidigen.
Autos wandeln sich zu Quasselstrippen
Doch der unerkannte Mann mit Sonnenbrille und Hut dachte in anderen Dimensionen. Zurück in Mountain View setzte der Google-Gründer ein Projekt auf und engagierte die siegreichen Forscher. Sie sollten autonome Fahrzeuge zur Serienreife bringen - koste es, was es wolle.
"Die deutsche Autoindustrie war an den Darpa-Rennen stark interessiert, weil sie die Grundlage für künftige Assistenzsysteme bildeten", erinnert sich Michael Darms. Der Continental-Ingenieur wurde ein Jahr lang für die Rennvorbereitung des CMU-Teams abgestellt.
In Deutschland glaubte kaum jemand an die Fahrroboter
Auch das VW-Forschungscenter Palo Alto war frühzeitig am Start. Seit 2004 unterstützten die Elektronikspezialisten Sebastian Thrun mit drei VW Touareg. Es war sicherlich kein Hindernis, dass der Roboterexperte aus Solingen stammt und in Bonn in Computerwissenschaften promoviert hat. 2007 wurde am Kurs erneut sehr viel Deutsch gesprochen. Das lag nicht nur an dem Passat "Junior", den VW und Stanford ins Rennen schickten, sondern an vier weiteren Teams aus Deutschland, die es immerhin ins Halbfinale schafften.
"Die Deutschen überfallen das Roboter-Rennen", titelte das amerikanische Internet-Magazin Wired. Doch im Geburtsland des Patentmotorwagens glaubte kaum jemand an eine absehbare Zukunft der Fahrroboter. "In 50 Jahren wird es Autos geben, die selbständig fahren", hatte Sebastian Thrun nach seinem Sieg 2005 prophezeit. Selten lag ein Forscher seines Kalibers gründlicher daneben. Erst als Google 2015 Scharen seiner eiförmigen autonomen Testvehikel auf die Straßen schickte, wurde auch dem Letzten klar, dass das Finalrennen längst begonnen hat.
400 Firmen arbeiten heute am autonomen Fahren, schätzt Johann Jungwirth. Bevor er als Chief Digital Officer in den VW-Konzern kam, leitete er das Mercedes-Forschungszentrum in Sunnyvale und dann Apples Projekt "Titan" für selbstfahrende Autos. In Las Vegas gab "Jay Jay", wie er in der Branche genannt wird, eine Kooperation mit Chris Urmson bekannt. "Meine Reise begann genau vor sieben Jahren hier auf der Consumer Electronics Show. Google stellte einen umgebauten Toyota Prius vor, der selbständig durch Downtown Las Vegas fuhr", berichtet Jungwirth. Seitdem habe er die Fortschritte genau verfolgt. "Wir sind seit 2010 in Kontakt geblieben und haben seit 2016 diskutiert, wie wir zusammenarbeiten können - was wir seit sechs Monaten konkret tun."