Zuzug aus dem Ausland Wie Neu-Münchner die Stadt sehen

Sibel Turgut ist von Ankara nach München gezogen.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

München boomt und lockt Menschen aus aller Welt. Zehn Zugezogene erzählen, was sie erwartet haben - und wie sie die Stadt jetzt erleben.

Von Pia Ratzesberger (Text) und Alessandra Schellnegger (Fotos)

Die Bilder sind da, noch bevor man selbst da ist. Man sieht alles schon vor sich, die Straßen, die Plätze, die Häuser. Die Menschen. Manchmal denkt man nur an das Schöne, sehnt sich nach der neuen Stadt, die so viel mehr verspricht als allein neue Plätze. Man hat dann wahrscheinlich selbst entschieden, fortzugehen. Manchmal aber denkt man auch nur an das Schlechte, wehrt sich gegen die neue Stadt, die nicht genügen kann, im Vergleich. Man hat dann wahrscheinlich nicht selbst entschieden, fortzugehen.

Wie die Bilder auch aussehen, vor Ort verändern sie sich. In den ersten Tagen, in den ersten Wochen sind sie vielleicht so scharf wie nie, man nimmt so vieles noch wahr, was man später jeden Tag sieht und gerade deshalb irgendwann nicht mehr. Den Kastanienbaum am Eck. Das Tattoo der Kioskbesitzerin. Die Widmung auf der Parkbank, von Hans für Greta. Den Blick auf den Fluss. Kleine Dinge. Doch sie formen ein Gefühl für die Stadt und das unterscheidet sich oft von dem Gefühl der Menschen, die schon lange in ihr leben. Wer von fern herzieht, sieht anderes. Er sieht manchmal mehr.

Da ist zum Beispiel Sarah Sullivan, gerade erst aus dem Silicon Valley angereist. Für sie ist München vor allem eine ästhetische Stadt. Mit Rokoko-Kirchen, mit imposanten Bauten. Da ist Euter Pádua aus Brasilien, für ihn ist München vor allem Natur. Mit einem Fluss, der doch eigentlich dreckig sein müsste und doch so sauber ist. Da ist Natalia Bushmanova aus der Ukraine, für die München eine hippe Stadt ist, wider Erwarten. Da ist Sibel Turgut aus der Türkei, für die München eine gerechte Stadt ist, auch wenn sie weiß, dass viele das anders sehen. Und da ist Michael Ato aus London, der in München schon Hartes erfahren musste - und der die Stadt trotzdem noch mag.

Sarah Sullivan, Michael Ato und die anderen kamen alle wegen der Arbeit nach München, manche von ihnen wegen der Stadt, andere trotz der Stadt. Sie haben an verschiedensten Orten in der Welt gelebt, viele von ihnen haben gut bezahlte Jobs, sind um die 30 Jahre alt. Sie gehören zu einer neuen Generation in München, man muss dazusagen - auch zu einer Elite.

Zwar geht es wie ihnen jedes Jahr tausenden Menschen, die aus dem Ausland herziehen, die Bilder von München mitbringen. In den vergangenen sechzehn Jahren kamen die meisten Menschen aus Polen, Rumänien und Italien, aus den USA kamen deutlich weniger, auch aus Großbritannien oder Indien. Doch gerade weil Sarah Sullivan, Michael Ato und die anderen Menschen schon so viel unterwegs waren, haben sie einen besonderen Blick auf München. Vielleicht auch, weil für sie diese Stadt nur eine Möglichkeit von Hunderten ist.

Fragt man sie also, wie sie sich München in der Zukunft vorstellen, geben alle die gleiche Antwort. Die Stadt müsse noch viel, viel diverser werden. Sie müsse neu erzählt werden, die Geschichte von München als Dorf funktioniere schon lange nicht mehr. Ein Dorf ist eine feste, eingeschworene Gemeinschaft. München aber verändert sich. Jede Woche, jeden Tag. Auch durch sie.

London - Michael Ato, 31

"Ich hätte nie gedacht, dass ich mal nach München ziehen werde. Aus der Ferne hatte ich den Eindruck, dass das keine trendige Stadt ist und ehrlich gesagt, ist sie das auch nicht - trotzdem finde ich die Stadt mittlerweile auf ihre eigene Art toll. Als Designer arbeite ich vor allem in Start-ups, in München bin ich bei Bragi, die machen kabellose Kopfhörer. Ich sage meinen Leuten jetzt immer, sie sollen mich besuchen kommen, weil die meisten München erst gar nicht auf ihrer Liste haben. Viele meiner Freunde kommen aus London, dort bin ich geboren, war später viel unterwegs.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

In London hat meine Hautfarbe nie eine Rolle gespielt, hier ist das anders. Ich bin schon mehrmals rassistisch angegangen worden. An der Bushaltestelle wollten mich einmal zwei Männer verprügeln, ein anderes Mal stand ich mit vollen Taschen vor meiner Haustüre, kramte nach dem Schlüssel und versuchte die Tür zu öffnen. Eine Frau kam nach Hause und sah mich da stehen, vollbepackt. Sie schüttelte nur erschrocken den Kopf und sagte: 'Nein, nein, nein.' Dann habe ich meine Taschen abgestellt und gesagt: 'Ich wohne hier.'

Seitdem geht sie mir aus dem Weg, vielleicht schämt sie sich. Das ist noch schlimmer, wie wenn mich jemand verprügeln will. Wenn die Menschen ohne Grund Angst vor mir haben. In London wäre mir das so nicht passiert, die Stadt ist an die vielen verschiedenen Menschen und Kulturen gewöhnt. Mir macht das München aber nicht kaputt. Mir tut es eher für die Leute leid, und es gibt ja auch viele andere Menschen. Ich bin Tänzer und mehrmals in der Woche treffe ich mich mit ein paar Leuten am Königsplatz. Dann tanzen wir New Style Hustle, alle gemeinsam - und es ist egal, woher man kommt."

Charkiw - Natalia Bushmanova, 32 Jahre

"Bisher war München für mich nur ein Flughafen. Und ehrlich gesagt hätte ich nie geglaubt, dass ich mal hierher ziehe, ich hätte mich eher als den Berlin-Typen bezeichnet. Dort war ich schon öfter, und die Menschen haben immer gesagt, dass München so anders ist als die Hauptstadt. Dann aber hat eine Firma mich für einen Job angefragt, und mein Mann und ich beschlossen herzuziehen. Wir haben vorher viel in Start-ups gearbeitet, zuletzt in Breslau und in Krakau, dort waren wir für jeweils ein Jahr. Als wir uns im Münchner Bürgerbüro registrieren mussten, sprach dort niemand Englisch, das war schon komisch.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Andererseits hat München auch sehr viel Hipsterisches, ich mag Läden wie den Trachtenvogel oder das Café Kosmos, auch den Märchen-Bazar im Schlachthofviertel. Meine Heimatstadt Charkiw im Osten der Ukraine ist ähnlich groß wie München, aber ich bin dort viel mehr mit dem Auto gefahren und die öffentlichen Verkehrsmittel sind lange nicht so gut. Hier wohne ich in Obersendling und arbeite in Riem, das Auto brauche ich trotzdem fast nie mehr. Nur am Wochenende, um rauszufahren. Was ich aber schnell gelernt habe: Wenn es Störungen auf der Stammstrecke gibt, dann bist du fucked."