- Unbekannte Mitarbeiter der Brauerei hatten sich im Kummerkasten des Betriebsrats über Kollegen und Vorgesetzte beschwert.
- Bei einer Weihnachtsfeier wurden die Einsendungen verlesen - inklusive der Namen der Betroffenen.
- Die Unternehmensleitung wertete das als "menschenverachtend" und versprach eine Belohnung für Hinweise auf die Verfasser. Ob das rechtens ist, bleibt ungeklärt.
Die Richterin in Braunschweig war am Ende der Verhandlung wohl auch froh, dass sie kein Urteil fällen musste: Einen vergleichbaren Fall hatte schließlich kein deutsches Arbeitsgericht zuvor entscheiden müssen. Darf ein Arbeitgeber mithilfe eines Kopfgeldes nach Mitarbeitern suchen, die anonym in einem Kummerkasten Kollegen und Vorgesetzte kritisiert und sie damit vor der versammelten Belegschaft bloßgestellt haben?
In solch ein Postfach, das im verhandelten Fall der Betriebsrat einer niedersächsischen Privatbrauerei eingerichtet hatte, können Beschäftigte unerkannt Kritik einwerfen. Es soll eigentlich helfen, Missstände im Unternehmen aufzudecken, ohne dass einer der Hinweisgeber dafür sanktioniert werden kann, wenn ihm andere das Gesagte übelnehmen. Von Unternehmensseite müssen Einsendungen vertraulich behandelt werden. Doch für die Leitung von Hofbrauhaus Wolters kam das nach den Vorfällen der vergangenen Wochen plötzlich nicht mehr in Frage - und das ist gar nicht so unverständlich.
Der bierernste Streit in sieben Akten:
Mitarbeiter kritisieren anonym Kollegen und Führungskräfte
Ein oder mehrere Mitarbeiter hatten zum Jahresende mehrere Schreiben in den besagten Kummerkasten gesteckt. Die Zettel, mit denen der Ärger begann, sollen inzwischen vom Betriebsrat geschreddert worden sein. Bekannt ist aber: Die anonymen Schreiber haben Mitarbeiter und Führungskräfte heftig kritisiert - namentlich beziehungsweise für die Belegschaft erkenntlich. Nach Informationen des Regionsgeschäftsführers der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten, Manfred Tessmann, warfen sie ihnen unter anderem vor "von der Materie ihrer Arbeitsaufgaben keine Ahnung" zu haben und unnötige Arbeit zu generieren, eine der Führungskräfte sei "überflüssig". Tessmann wurde von den Betriebsräten um Rat gebeten - allerdings nicht sofort.
Darf der Chef mir eine Meinung vorschreiben?
Anschuldigungen werden verlesen - auf der Weihnachtsfeier
Für den 8. Dezember hatten Geschäftsleitung und Gesellschafter der Brauerei - wie in den Jahren zuvor - zu einer kleinen Weihnachtsfeier "in entspannter Atmosphäre" eingeladen, so beschreibt es Wolters-Geschäftsführer Peter Lehna. Mit der Veranstaltung hätten sich die Gastgeber "bei der gesamten Belegschaft für die geleistete Arbeit des zu Ende gehenden Jahres" bedanken wollen, etwa 150 Menschen.
Nun ist es bei Wolters allerdings üblich, dass die Kummerzettel bei Betriebsversammlungen verlesen werden - so auch bei der vorweihnachtlichen Veranstaltung. Geschäftsführer Lehna vermutet, dass dem Betriebsrat der Inhalt bekannt gewesen sei, selbst wenn er die Einsendungen erst unmittelbar vor der Versammlung aus dem Kummerkasten geholt habe. So oder so: Die Beschwerden wurden vor der versammelten Belegschaft und in Gegenwart der Betroffenen vorgetragen, inklusive ihrer Namen. Die anwesende Geschäftsleitung nahm das an diesem Freitagabend augenscheinlich hin.
Geschäftsführung kündigt Konsequenzen an - für die Kritiker
Wahrscheinlich hatten Geschäftsführer und Gesellschafter aber nur noch mal tief Luft holen müssen. Am darauffolgenden Montag machten sie deutlich, dass sie Konsequenzen aus den Beschwerden ziehen würden - und zwar ausschließlich gegen die Verfasser. Sie sähen "in den anonym und in äußerst beleidigender und menschenverachtender Formulierung geäußerten Vorwürfen einen äußerst feigen und unkollegialen Akt", schrieb Lehna in einem offenen Brief an die Mitarbeiter, der der SZ vorliegt. Inhalt und Weg der Vorwürfe wertete die Geschäftsleitung als "massiven Angriff auf den Betriebsfrieden" und Straftatbestände.
Lehna kündigte eine juristische Prüfung an. Den betroffenen Mitarbeitern sicherte er uneingeschränktes Vertrauen und Unterstützung zu. Niemand im Unternehmen werde davor Angst haben müssen, dass ihm oder ihr das Gleiche widerfahre, schrieb er.