SPD Schulz muss bitten, kämpfen, debattieren

Kann Martin Schulz seine Partei hinter sich einen?

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Von SZ-Autoren

Für Martin Schulz muss sich diese Woche geradezu surreal anfühlen. Es ist noch kein Jahr her, dass Sigmar Gabriel ihn zum Kanzlerkandidaten ausrief und Schulz die wohl berauschendsten Wochen seiner politischen Karriere erleben durfte. Von rechts bis links, von Norden bis Süden, lag ihm die Partei zu Füßen, während die Umfragewerte der SPD in die Höhe schnellten. Alles war möglich.

Im Januar 2018 ist nicht mehr allzu viel möglich. Es geht jetzt nur noch um die Frage, ob die SPD sich, nach beinharten Absagen und einer 180-Grad-Wende, doch wieder in eine Koalition mit der Union begibt. Oder ob sie beim Parteitag am Sonntag in Bonn nicht einmal Verhandlungen darüber zulässt, weil zu viele Genossen es leid sind, das Wohl des Landes über die Zukunft ihrer Partei zu stellen. Deshalb muss nun der vor einem Jahr umjubelte, verehrte, verklärte Schulz durch das Land reisen und bitten, kämpfen, debattieren. Statt Euphorie dürfte ihm Frust entgegenschlagen. Gelingt ihm der politische Kraftakt? Wie ist die Stimmung in den Ländern?

"Pragmatisches Merkel-Papier"

Oleg Shevchenko dürfte sich jedenfalls nicht mehr überzeugen lassen. Der BWL-Student ist Juso-Chef in Thüringen, Mitglied des Landesvorstandes und einer der sieben Delegierten, die am kommenden Wochenende nach Bonn reisen. Mitte Dezember hatten die Thüringer als erster Landesverband mehrheitlich gegen eine große Koalition gestimmt. Dass die Genossen aus Sachsen-Anhalt am Wochenende nachgezogen sind, wertet Shevchenko als ein Aufbegehren des Ostens. "Das Ergebnis der Sondierungen liest sich wie ein pragmatisches Merkel-Papier", sagt er. Es fehle die soziale Dimension, ein Plan für die Förderung strukturschwacher Regionen, das Verständnis für gebrochene Biografien.

Nahles kritisiert Gegner einer großen Koalition

Die parteiinternen Kritiker würden das Ergebnis der Sondierungen für eine große Koalition mutwillig schlechtreden, sagt die SPD-Fraktionschefin. CSU-Chef Seehofer lehnt Nachverhandlungen ab. mehr ...

In Sachsen-Anhalt, wo am Samstag ein Landesparteitag mit 52 zu 51 Stimmen gegen die große Koalition stimmte, ist die Stimmung nicht ganz so eindeutig. Darauf deutet schon das knappe Ergebnis hin. Auch Arne Lietz klingt ziemlich abgewogen. Lietz ist Europaabgeordneter aus Wittenberg und Delegierter. Er gibt sich gelassen. "Ich habe nicht vor, alles vorzeitig über die Klippe gehen zu lassen", sagt er. Das Votum vom Wochenende werde er zwar im Hinterkopf haben, aber nach eigener Überzeugung abstimmen. Zumal die Sondierungsgespräche mit Blick auf Europa durchaus ergiebig gewesen seien. Als Beispiel nennt Lietz die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa. Eine Sollbruchstelle sei die Obergrenze für Flüchtlinge, mit der er nicht einverstanden sei. "Da müssen wir hart nachverhandeln."

Wobei es, bei allem Respekt vor Oleg Shevchenko, Arne Lietz und ihren Mitdelegierten, letztlich auf andere Delegationen ankommen wird. Die aus Nordrhein-Westfalen zum Beispiel, die allein etwa ein Viertel aller Delegierten des Bundesparteitags ausmacht. Aus NRW kommt auch Schulz selbst, doch am Wochenende ging es dort bei einer Sitzung der Landesspitze durchaus kontrovers zu. Zwar wurde nicht formal abgestimmt, Teilnehmer berichteten aber hinterher, die Mehrheit der Redner habe sich skeptisch geäußert. Verwunderlich ist das nicht, denn die NRW-SPD müsste für die Zustimmung zu Schwarz-Rot eine besonders scharfe Kehrtwende hinlegen. Bereits vor Monaten hatte sie einer Neuauflage eine Absage erteilt - und Landeschef Michael Groschek hatte vor Beginn der Sondierungsgespräche seine Skepsis betont. Als Teil des Sondierungsteams stellte er sich am Ende jedoch hinter das Ergebnis und verteidigt es seither. Allerdings sah er am Wochenende noch "viel Skepsis" bei seinen Parteifreunden. "Das wird eine große Aufgabe, aber es ist nicht so, als ob die Delegierten alle auf Nein verortet wären." Es werde eine Diskussion geben, aber "kein Überreden". Am Montagabend kam Parteichef Schulz persönlich zur ersten von zwei NRW-Delegiertenvorbesprechungen nach Dortmund und warb um Zustimmung: "Wir haben eine große Liste von Erfolgen erzielen können", sagte er.