Oberpfalz Wie ein Weidener Eisenbahner einer Jüdin das Leben rettete

Werkbank für die Lebensader des Reichs: Der SPD-Mann Nikolaus Rott war nach 1933 bei der Reichsbahn in Weiden nicht mehr willkommen, der Werksfriede sei in Gefahr durch ihn.

(Foto: oh/Bildband Weiden, Gauverlag Bayerische Ostmark 1939)

Nikolaus Rott war den Nazis ein Dorn im Auge. Er versteckte eine Jüdin und beugte sich nie. Doch seine Geschichte ist die eines vergessenen Helden.

Von Johann Osel, Weiden

Der erste Aktenvermerk der Nazis über den Eisenbahnschlosser Nikolaus Rott aus Weiden ist bereits verheerend. Er habe sich "noch nicht zur nationalen Regierung bekannt" und gesagt, er "bleibe seiner Gesinnung treu bis in den Tod", schreibt das Reichsbahnbetriebsamt kurz nach der Machtergreifung. Zuvor war die Karriere, der Alltag des 42-Jährigen jäh geendet. Bis 1933 war Rott Vorarbeiter im Bahnbetriebswerk, Hauptbetriebsrat, SPD-Stadtrat, Schöffe, altgedienter Genosse, geachteter Bürger.

Nun wurde er aus allen Ehrenämtern entfernt, aus dem Dienst entlassen; ein Glück, dass er Leib und Leben rettete, in den chaotischen Anfängen des Reichs hatte ihn ein SA-Trupp zur Verhaftung vorgesehen. Er landete auf einem Schrankenwärterposten, zum halben Lohn, 30 Kilometer weg von Weiden - Hauptsache weg von den politischen Freunden, dachte man bei der NSDAP.

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Alle Ambitionen auf Rückkehr scheiterten. Sein früheres Betriebswerk meldete 1935, dass durch den roten Rott der "Werksfriede nicht gewahrt" sei. Das Lokführeramt, sein Wunsch, schied ohnehin aus. Dessen Pflichten - "allen Volksgenossen Vorbild zu sein" und "dem Führer Treue bis zum Tod zu halten" - erfüllte er nicht. 1938 durfte Rott doch nach Weiden, zur Bahnmeisterei. Klar war: Er stand fortan im Blick der Nazis. Und in ausgerechnet dieser Lage entschied sich Rott gegen Kriegsende dazu, eine Jüdin bei sich zu verstecken. In Weiden, das nach Ansicht der Machthaber "judenrein" war.

Die Geschichte von Nikolaus Rott ist die eines vergessenen Helden. Sie ist Beispiel dafür, dass die Eisenbahn im Dritten Reich nicht nur Teil der totalitären Maschinerie war, sondern dass es durchaus Nazi-Gegner, ja Widerstandskämpfer gab. Vor allem aber ist sie eine Geschichte, die nirgends durchgängig erzählt ist, die aus Puzzleteilen zu rekonstruieren ist.

Besucht man das Stadtarchiv Weiden, in den wunderschönen Räumen des historischen Schulhauses, lassen sich kaum Unterlagen finden, einige Bücher nur mit Notizen zu Rott: Etwa ein vergilbter Band "80 Jahre Sozialdemokratie in Weiden", mit Grußwort vom damaligen SPD-Chef Willy Brandt; oder Forschungen zum Judentum in der Stadt. Die Zeitung Der Neue Tag hat verdienstvoll einiges zusammengetragen, es gibt weitere Fundstücke. "Auch wenn andere die Weichen stellten" heißt ein Buch des Journalisten Bernd Eichmann, der in den Achtzigern deutsche Eisenbahngewerkschafter würdigte. Er besuchte Rott in Weiden im Alter von 97 Jahren, kurz vor dessen Tod.

Rott, 1891 in Weiden geboren, hat oft Geschichte miterlebt.

(Foto: privat/Karl Bayer: 80 Jahre Sozialdemokratie in Weiden 1897-1977)

Wie überall im Reich wuchs in den Dreißigern der Antisemitismus in Weiden, wer konnte, der floh. 1938 schrieb die Zeitung Bayerische Ostmark: "Weiden kann sich glücklich schätzen, daß es seit dem Jahre 1933 die Hälfte seiner jüdischen Schmarotzer verloren hat. Noch glücklicher wären wir, wenn auch der letzte Jüd den Staub unserer Heimat von den Füßen schütteln würde." Es folgte die Reichspogramnacht, es folgten Deportationen.

1942 erklärte der Oberbürgermeister: keine Juden mehr in der Stadt. Aber er irrte. Die Jüdin Rosa Hoffmann - Mitte 40, verheiratet in "Mischehe" mit einem evangelischen Arzt - war zwar 1939 im anonymen Berlin abgetaucht; in den letzten Kriegsjahren hat sie ihr Gatte aber wieder in die Oberpfalz geholt. Doktor Hoffmann, längst gesellschaftlich geschnitten, konnte ein Netz von Mitwissern spannen und seine Frau bei Familien in wechselnden Verstecken unterbringen - mehr als ein Jahr bei Rott und dessen Frau, unterm Dach in einem Bahnwärterhaus.