Olympia Ein bisschen Frieden - und viel Machtkalkül

Harmonie, wenigstens in der Sportarena: Turnerinnen aus dem Norden (links) und dem Süden Koreas bei Olympia in Rio 2016.

(Foto: Dylan Martinez/Reuters)
Von René Hofmann

Als die beiden ihre Sitze 7B und 7C in der Boeing 707 bezogen, platzierten sie im Handgepäckfach zwei Bomben: ein Panasonic-Radio, in dem 350 Gramm C4-Sprengstoff versteckt waren, und eine Likörflasche mit 665 Milliliter Nitromethan und einem Schuss Ethylendiamin. Flug Nummer 858 der Korean Air war dreigeteilt: Von Bagdad ging es nach Abu Dhabi; von dort sollte die Reise über Bangkok nach Seoul führen. Beim ersten Stopp stiegen der Mann und die Frau aus, die auf den Plätzen 7B und 7C gesessen hatten. Ihr Handgepäck ließen sie unbemerkt zurück.

Der zweite Flug verlief zunächst problemlos. Gegen 14 Uhr setzte der Kapitän einen Funkspruch ab: "Wir erwarten, pünktlich in Bangkok zu landen. Zeit und Position normal." Kurz darauf zerriss es die Maschine. Die Trümmer stürzten in die Andamanensee. Alle 115 Menschen, die sich an Bord befunden hatten - 113 von ihnen Südkoreaner -, kamen ums Leben. Was an diesem 29. November 1987 noch niemand wusste: Der Absturz war ein Anschlag gewesen, der auch der olympischen Bewegung galt.

Kim Seung-il und Kim Hyon-hui, das unauffällige Paar in der siebten Sitzreihe, waren nordkoreanische Spione, die auf Befehl der höchsten Führungsebene des Landes gehandelt hatten. Nachdem Bemühungen gescheitert waren, einige Wettbewerbe der Sommerspiele, die 1988 in Seoul in Südkorea stattfinden sollten, im kommunistischen Nordteil des Landes auszutragen, hatte sich dort offenbar die Haltung durchgesetzt: Wenn die Welt nicht zu uns kommt, dann jagen wir ihr Angst ein! Die Botschaft kam an. In einem vertraulichen Bericht des US-Geheimdienstes CIA zu den Spielen in Seoul hieß es im Mai 1988: "Wir glauben, dass die von Nordkorea ausgehende Gewalt die größte Sicherheitsgefahr für die Spiele darstellt."

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Allein die Teilnahme des Nordens ist für die Spiele schon eine Sicherheitsgarantie

Politisch motivierter Einfluss auf die Spiele, in Korea ist das ein besonders heikles Thema. Kim Jong-un, der Herrscher über den Nordteil der Halbinsel, wirkt skrupellos und zu fast allem entschlossen. Die Ankündigung des Landes in dieser Woche, nun doch eine Delegation zu den Winterspielen zu schicken, die am 9. Februar rund 80 Kilometer jenseits der Grenze in Pyeongchang im demokratischen Süden beginnen, hat deshalb wegweisende Bedeutung.

Sie stellt eine Sicherheitsgarantie für die Veranstaltung dar. Darüber hinaus nährt die Aussicht, die beiden Länder könnten bei der Eröffnungsfeier gemeinsam einmarschieren und im Frauen-Eishockey vielleicht sogar ein vereintes Team aufbieten, die Hoffnung, die Feinde könnten sich bald auch jenseits der Sportplätze näherkommen. Thomas Bach, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees IOC, frohlockt: "Dies ist ein großer Schritt vorwärts im olympischen Geist und im Geist der Resolution des olympischen Friedens."

Olympischer Geist und Frieden. Das sind große, gern benutzte Worte. Aber es gibt auch Mahner. "Kim Jong-un hatte seine Extremsituation ausgereizt. Die Olympischen Spiele bieten ihm nun eine wohlfeile Gelegenheit, um sich Südkorea scheinbar anzunähern und sich für eine kurze Zeit in die Völkergemeinschaft einzureihen", sagt Gunter Gebauer, der als Sportwissenschaftler an der Freien Universität Berlin lehrt. Der Gedanke, dass der olympische Geist ausgerechnet einen Diktator beseelt haben soll, der sonst gerne mit seinem Atomknopf droht, wirkt bizarr. Wahrscheinlicher ist, dass Kim Jong-un die Spiele nur benutzt. Das hat Tradition: Frei von Machtinteressen sind die Wettbewerbe nie gewesen, selbst in der Antike nicht. Zwar wurde den Teilnehmern freies Geleit zugesichert, im Schatzhaus an der Wettkampfstätte in Olympia wurden aber auch erbeutete Waffen und Rüstungen ausgestellt, als Demonstration von Stärke.

Im geteilten Deutschland diente der Sport lange als Brückenbauer

"Der Friede war immer bloß ein scheinbarer", sagt Gebauer. "Das Bild, dass der Sport den Frieden bringt, ist eines, nach dem wir uns sehnen. Entstanden ist es aber erst in einer Rückschau. Die angeblich friedensstiftende Wirkung der Olympischen Spiele ist eine Erfindung des Hellenismus, also der Griechenlandbegeisterung in der römischen Zeit." Als der französische Baron Pierre de Coubertin die Idee einer internationalen Sportmesse Ende des 19. Jahrhunderts wiederbelebte, griff er das Motiv gerne auf. Die Veranstaltung sollte den teilnehmenden, sich teilweise feindlich gesinnten Nationen die Gelegenheit geben, auf friedliche Weise miteinander zu wetteifern.

Verhandler in Kims Namen

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Aber selbst der Gründervater war nicht frei von politischen Motiven. Seine Idee sollte "rebroncer la France" - Frankreich nach dem verlorenen Krieg gegen Deutschland von 1870/71 wieder aufpolieren. Deutsche Archäologen hatten die Reste des antiken Olympia ans Licht gebracht. "Warum", fragte de Coubertin, "sollte Frankreich nicht Olympias alten Ruhm wiederbeleben?" Die ersten neuzeitlichen Spiele hätte er 1896 deshalb gerne in seiner Heimatstadt Paris veranstaltet, dafür aber fand er nicht genügend Unterstützer. Der Neustart fand in Athen statt, was jedoch auch nicht allen gefiel. Die Briten schickten kein offizielles Team; sie waren beleidigt, weil sie nicht auf Englisch eingeladen worden waren.

Die Spiele waren nie einfach nur Spiele. Der Irrglaube, dass sie es sein könnten, basiert auf einer Vermischung, glaubt Gebauer: "Die rein sportliche Auseinandersetzung ist das eine. Dort, also bei den Wettkämpfen und den Siegerehrungen, hat das Ideologische zu schweigen. Das andere ist aber die Sportpolitik, zu der auch die Politik gehört, wie man an die Spiele kommt. Das ist eminent politisch. Diese beiden Ebenen darf man nicht zusammenbinden. Das wird aber oft getan."