Bayerns SPD-Chefin Kohnen über das Verhalten der CSU, die Chancen der heute beginnenden Sondierungen und Vorschläge von Außenminister Gabriel, der im Gegensatz zu ihr nicht an den Gesprächen teilnimmt.
Natascha Kohnen, 50, ist ausgebildete Biologin und hat als Redakteurin und Lektorin gearbeitet. Im Mai 2017 setzte sie sich in einer Urwahl als bayerische SPD-Vorsitzende durch. Die gebürtige Münchnerin und Mutter zweier Kinder ist seit 2008 Abgeordnete des Landtags in München und diente ihrem Landesverband vor ihrer Wahl zur Chefin als Generalsekretärin. Im Dezember 2017 wurde sie stellvertretende SPD-Vorsitzende. Sie vertritt ihre Partei bei den Sondierungen mit der Union.
SZ: Frau Kohnen, wollen Sie sich mit der SPD an einer "konservativen Revolution" beteiligen, die CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt gerade propagiert?
Natascha Kohnen: (schmunzelt). Jemand der danach ruft, liegt völlig falsch. Das Land braucht keine Revolution, sondern ernsthafte Lösungen für das, was die Menschen umtreibt: Bezahlbare Wohnungen, sichere Arbeitsplätze, mehr Unterstützung für Familien.
Was verbinden Sie persönlich mit "68", gegen deren Ideen und Vertreter sich Dobrindt ja so furios wendet?
Meine Eltern gehören zu dieser Generation. Die 68er haben unsere Gesellschaft nach dem Krieg viel offener und liberaler gemacht - und auch die Bildungsrevolution vorangetrieben, die so vielen Menschen den Aufstieg erst ermöglich hat. Ich wundere mich aber auch darüber, dass sich Dobrindt daran so abarbeitet, obwohl Helmut Kohl 16 Jahre regierte und die Union nun auch wieder seit mehr als zwölf Jahren an der Regierung beteiligt ist. Was meint der Mann eigentlich? Da ist nichts dahinter, wenn man ihn konkret fragt.
"Der ganz normale Wahnsinn"
Was halten Sie von Viktor Orbán als Gast der CSU-Klausur im Kloster Seeon?
Orbán schränkt in Ungarn den Rechtsstaat und die Meinungs- und Pressefreiheit ein. Damit ist er der falsche Berater. Ich habe kein Verständnis für die Einladung.
Gute Stimmung verbreitet die CSU vor den Sondierungen am Sonntag in Berlin gerade nicht, oder?
Die Scharfmacherei der letzten Wochen und der tägliche Krawall waren sicherlich nicht hilfreich. Ich erwarte, dass es bei den Gesprächen sachlicher zugeht.
Macht es denn so überhaupt Sinn, mit der Union zu reden?
Das werden wir die kommenden Tage sehen. Beide Seiten werden ihre Vorstellungen auf den Tisch legen und dann werden wir uns unterhalten. Ich kenne tatsächlich noch immer nicht die zentralen Punkte der Union. Ich bin sehr gespannt.
Haben Sie eine Tendenz?
Ich habe meine Skepsis gegenüber einer großen Koalition immer wieder bekannt, weil die Gemeinsamkeiten bereits vergangenen Sommer ausgeschöpft waren und sich die Union an Vereinbarungen nicht mehr gehalten hat. Man sollte nicht so tun, als ob diese Zeit besonders toll war, aber wir haben als demokratische Partei die Verpflichtung, uns gemeinsam mit den anderen demokratischen Parteien an einen Tisch zu setzten - und zu reden. Genau das machen wir jetzt bis Donnerstagabend.
Und dann?
Dann setzt sich der Parteivorstand am 12. Januar zusammen und wird eine Empfehlung für das weitere Vorgehen geben. Dann haben wir eine Woche bis zum Bundesparteitag, um das in den Landesverbänden zu besprechen. Der Parteitag entscheidet, ob wir in Koalitionsverhandlungen eintreten. Über das Ergebnis der Verhandlungen entscheiden alle SPD-Mitglieder in einem Mitgliedervotum.
Wie ist die Stimmung an der Basis?
Ich habe den Eindruck, dass die Mitglieder gradlinige Gespräche mit Haltung gut finden. Danach werden wie sehen, wie sich das entwickelt.