Arno Helfrich von der Münchner Polizei erklärt, wie Prävention funktioniert und was sie leisten kann
Vertragen statt schlagen: Viele Schulen haben die Bedeutung von Gewaltprävention erkannt und holen sich nicht erst Hilfe, wenn Schüler sich bereits prügeln. Beliebt ist das Projekt "Zammgrauft" der Polizei, das Lehrer sensibilisieren will. Seit 20 Jahren kommen Polizisten an Schulen - Arno Helfrich, Leiter der Abteilung Prävention und Opferschutz im Polizeipräsidium München, zieht Bilanz.
SZ: Jungen schlagen, Mädchen sticheln und mobben - stimmt das so?
Arno Helfrich: So pauschal kann man das nicht sagen. Natürlich sind die Burschen auch mal handgreiflich, aber Mädchen sind auch hin und wieder beteiligt. Und mobben tun alle. Das ist kein neues Phänomen. Früher hat man halt auf einen Zettel geschrieben, dass jemand doof ist, und alle haben gelacht. Heute ist das große Problem das Cybermobbing, weil es so grenzenlos ist. Man kann es sehr schwer einfangen, und oft sind die Lehrer relativ hilflos, was sie dagegen machen können.
Sind Kinder und Jugendliche heute gewalttätiger als früher?
Ich glaube nicht, dass die Situation insgesamt schlechter geworden ist. Unsere Fallzahlen an Schulen sind seit Jahren stabil. Allerdings haben wir natürlich nur die offiziellen Zahlen, die Dunkelziffer ist deutlich höher. Der Eindruck, dass die Gewalt zunimmt, entsteht eher aufgrund der öffentlichen Wahrnehmung. Gewalt ist ein Phänomen, das immer da ist und einen bestimmten Teil der Kinder und Jugendlichen trifft und einen bestimmten Teil nicht. Gewalt kommt an allen Schularten vor, an der Grundschule ebenso wie an der Mittelschule, der Realschule oder an Gymnasien.
Man kann also nicht viel gegen Gewalt an Schulen tun?
Doch, wir von der Polizei sind zum Beispiel seit 20 Jahren bemüht, Gewaltprävention an Schulen unterzubringen. Wir arbeiten in unseren Programmen "Aufgschaut" und "Zammgrauft" nach einem Multiplikatorensystem. "Zammgrauft" richtet sich an Kinder ab der fünften Jahrgangsstufe. In diesem Alter spielen Gewalt, Antigewalt und Zivilcourage eine große Rolle. Wir bilden Lehrer, Erzieher oder Sozialarbeiter und Jugendbeamte der Polizei aus, die dann unmittelbar an den Schulen arbeiten. Insgesamt haben wir mittlerweile 8000 Multiplikatoren ausgebildet, die Gewaltprävention in den Schulalltag einbringen. Der Vorteil ist, dass wir so alle Schüler unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Herkunft oder ihren finanziellen Möglichkeiten versorgen können.
Was machen Ihre Multiplikatoren?
Sie machen Projekttage. Und sie greifen bei konkreten Fällen ein. Wenn ein Kind ausgegrenzt wird, können sie entsprechende Inhalte in den Unterricht einbauen. Sie lernen bei uns Vertrauensübungen und Gemeinschaftsübungen, aber auch Fragen wie "Was ist Gewalt?" oder "Wie definiere ich Gewalt?". Bei einem Spiel liegt eine Skala von null bis neun am Boden, wobei null "keine Gewalt" und neun "viel Gewalt" bedeutet. Die Kinder bekommen dann Karten wie "Der Metzger schlachtet ein Schwein" oder "Du sagst zu deinem Nachbarn, dass er ein Vollidiot sei". Jeder soll dann einschätzen, auf welcher Gewaltstufe sich seine Aussage befindet. Das Ergebnis wird sein, dass man sich nie einig wird, was wie viel Gewalt ist. Denn nicht der, der Gewalt ausübt, definiert, was Gewalt ist, sondern der, dem sie angetan wird.
Ab welchem Alter ist Gewaltprävention sinnvoll?
Eigentlich müssten schon die Eltern im Kleinkindalter damit anfangen. Es ist immer ganz schön, wenn Kinder im Kindergarten oder der Schule abgegeben werden und die Erzieher oder Lehrer dann alles richten sollen. Das drängt die eigene Verantwortung in den Hintergrund. Denn auch die Eltern müssen den Kindern vorleben, wie man miteinander umgeht. Das gilt auch für die Schulen. Sie sollen nicht nur Wissen im Rechnen und Schreiben vermitteln, sondern auch soziale Fähigkeiten.
Machen die Schulen das?
Sie öffnen sich immer mehr. Die Situation an den Schulen, die sich an unseren Programmen beteiligen, verändert sich. Jeder ist sensibilisiert, jeder weiß, worum es geht. Die Schüler erarbeiten selbst ein Regelwerk, es wird ihnen nicht aufgesetzt. Daran halten sich die meisten dann auch. Die Teilnahme an einem Gewaltpräventionsprogramm heißt natürlich nicht, dass es keine Probleme mehr gibt. Die Schulen können aber besser damit umgehen. Es gibt aber noch zu viele Schulen, an denen keine Zeit ist für Gewaltprävention.
Wie meinen Sie das?
Es liegt an der Schule zu definieren, dass Gewaltprävention wichtig ist. Der Schulleiter, die Lehrer müssen dahinterstehen. Im Lehrplan ist es nicht zwingend enthalten. Gewaltprävention ist ein Kann, kein Muss.
Haben Schulleiter Angst, dass ihre Schule in Verruf geraten könnte?
Manche leider schon. Ein Schulleiter, der behauptet, dass er mit Gewalt kein Problem hätte, verschließt aus meiner Sicht die Augen. Mittlerweile gibt es aber an vielen Schulen die Schulsozialarbeit, mit der wir eng zusammenarbeiten. Die Sozialarbeiter haben häufig den Auftrag, ein gutes Miteinander umzusetzen, im Nachmittagsunterricht zum Beispiel. Es ist aber auch möglich, dass Gewaltprävention im regulären Unterricht Thema ist.
Gibt es denn genügend Angebote?
Angebote gibt es schon, es ist nur oft schwierig für die Schulen, das richtige zu finden. Das wäre ein Wunsch an die Stadt: Dort müsste es jemand geben, der die Angebote koordiniert. Denn es gibt Angebote, die lange im Voraus ausgebucht sind, und andere, die noch Kapazitäten hätten.