Ovtcharov ist Erster der Weltrangliste, Boll Dritter: Das historische Hoch des deutschen Tischtennis soll zum Titel bei der Mannschafts-WM führen.
Dimitrij Ovtcharov konnte den Jahreswechsel gar nicht erwarten. Vielleicht auch deshalb hat er ihn 8000 Kilometer südöstlich auf den Malediven verbracht, wo er vier Stunden früher als daheim das neue Jahr begrüßen durfte. Dadurch war der 29-Jährige natürlich keinen Deut früher die neue Nummer eins der Tischtenniswelt, aber besser als im grauen, verregneten Düsseldorf fühlte sich das neue Jahr für Ovtcharov am wohltemperierten Indischen Ozean allemal an.
Während Bundestrainer Jörg Roßkopf seine Nationalspieler bereits am Neujahrsabend zum ersten Training eines womöglich historischen Jahres für den Deutschen Tischtennis-Bund (DTTB) versammelte, erholte sich Ovtcharov noch ein bisschen. Mit ihm als neuer Nummer eins der Weltrangliste und Timo Boll als neuer Nummer drei wollen die Deutschen im kommenden Mai den Chinesen erstmals den Mannschafts-Weltmeister-Titel entreißen. Die Voraussetzungen sind so günstig wie nie.
Weltbester mit dem kleinen Ball: Tischtennis-Profi Dimitrij Ovtcharov hofft nun auf Gold bei der Mannschafts-WM in Schweden.
(Foto: Yohei Osada/imago)Boll, 36, hatte bereits 2003 für sieben Monate sowie 2011 noch einmal für drei Monate an der Spitze der Weltrangliste gestanden, aber zwei Deutsche unter den drei Besten der Welt - das hat es nie zuvor gegeben in der 92-jährigen Geschichte des deutschen Verbandes.
Eberhard Schöler war 1969 als Weltmeisterschafts-Zweiter auch mal Zweiter der Weltrangliste, und Jörg Roßkopf schaffte es 1992 als Europameister immerhin auf den vierten Platz. Mit seiner aktuellen Thronbesteigung sowie Einzel-Bronze bei den Olympischen Spielen 2012 ist Ovtcharov neben Schöler, Boll und Roßkopf schon jetzt einer der vier besten deutschen Tischtennisspieler der Historie. "Dieser erste Platz fühlt sich für mich an wie der Gewinn eines Welttitels", sagt er. Den Gewinn eines echten Welttitels in dieser von Asiaten dominierten Sportart haben tatsächlich erst zwei deutsche Männer geschafft: 1989 wurden Roßkopf und sein Partner Steffen Fetzner in Dortmund Doppel-Weltmeister.
Eine solche Annäherung an das chinesische Niveau wie gegenwärtig hat das deutsche Tischtennis noch nie erlebt. "Mittlerweile trage ich den Glauben in mir, dass ich auch die besten Chinesen besiegen kann", sagt Ovtcharov. 2017 schlug er bei seinen sieben Turniersiegen Yan An, Lin Gaoyuan und Fan Zhendong - drei Chinesen. Bei der Mannschafts-WM in Halmstad/Schweden vom 29. April bis zum 6. Mai werden es die Deutschen außer mit Chinesen auch noch mit starken Japanern zu tun bekommen. Eine andere Nation scheint für Medaillen momentan kaum in Frage zu kommen. China, Deutschland und Japan führen auch die globale Nationenwertung an.
1 Dimitri Ovtcharov (Hameln/Orenburg)
2 Fan Zhendong (China)
3 Timo Boll (Düsseldorf)
4 Lin Gaoyouan (China)
5 Xu Xin (China)
6 Koki Niwa (Japan)
7 Ma Long (China)
7 Chun Ting Wong (Hongkong)
9 Simon Gauzy (Frankreich)
10 Kenta Madsudaira (Japan)
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18 Ruwen Filus (Bückeburg)
27 Ricardo Walther (Grünwettersbach)
31 Bastian Steger (Bremen)
43 Patrick Franziska (Otzberg)
46 Benedikt Duda (Bergneustadt)
Während Boll mit Borussia Düsseldorf auch Favorit ist im Final-Four um den deutschen Pokal am nächsten Samstag in Neu-Ulm (gegen Bremen, Ochsenhausen und Saarbrücken), denkt Ovtcharov globaler, träumt verhalten vom Außenseitersieg bei der WM in Schweden - und macht sich weniger Gedanken darüber, wie lange er die Führung in der Weltrangliste behält. Ein neuer Modus berücksichtigt für jeden Spieler nur noch die acht besten Resultate der vorherigen zwölf Monate. Das wird die Wechsel an der Spitze des Rankings massiv erhöhen und es nahezu unmöglich machen, dass ein Spieler noch mal 34 Monate lang die Nummer eins ist, wie es zuletzt dem Chinesen Ma Long gelungen war. Seit Boll im April 2011 seine Führung abgeben musste, haben tatsächlich nur noch Chinesen die Weltrangliste angeführt: Wang Hao, Zhang Jike, Xu Xin und Ma Long.
Seit April 2011 standen nur Spieler aus China auf Platz eins
Deutschlands Tischtennis träumt von einem kleinen Boom, aber Verbandspräsident Michael Geiger macht sich keine Illusionen: "Über drei Generationen hinweg haben Jörg Roßkopf, Timo Boll und Dimitrij Ovtcharov die Qualität des deutschen Tischtennis belegt", sagt der Wirtschaftsprüfer aus dem Schwarzwald. "Aber mit diesem ersten Rang nun einen Mitgliederzuwachs zu erwarten, wäre vermessen - dazu bräuchten wir wohl eher einen Titel bei einer Weltmeisterschaft oder bei Olympischen Spielen", glaubt Geiger.
Doch bei der WM in Halmstad erwartet Bundestrainer Roßkopf die zuletzt schwächelnden Chinesen wieder in altem Glanz. Nicht erst seit Ovtcharovs deutlicher 0:4- Niederlage gegen den 20 Jahre alten Fan Zhendong im Endspiel des World-Tour-Finalturniers in Astana Mitte Dezember wissen die Deutschen, dass ein WM-Gewinn auch unter den jetzt leicht veränderten Vorzeichen noch immer eine veritable Sensation wäre: "Die Chinesen werden ihr Trainingspensum nach oben fahren und bei der WM auch wieder der ganz große Favorit auf den Titel sein", sagt Roßkopf erschreckend nüchtern.
Ovtcharovs Thronbesteigung bedeutet folglich noch keinen Zeitenwandel im Tischtennis. Dazu bedürfte es im kommenden Mai schon noch eines weiteren kleinen Wunders.