Protestwelle mit zwölf Toten trifft Irans Regierung unvorbereitet

1. Jänner 2018, 19:28

Den Demonstranten im Iran war es zu Beginn um Wirtschaft gegangen. Nun richten sie sich gegen das System

Man solle sich keiner Illusion hingeben, schrieb die Zeitung Ettelaat in einem Leitartikel am Sonntag: "Demonstrationen und Forderungen der Massen ohne vorgegebenes Ziel und ohne Sprecher können nicht erfolgreich sein." Und sie hielt fest: "Wenn die Unzufriedenheit der Massen in den staatlichen Medien keine Resonanz findet, ist die Bevölkerung gezwungen, ihre Informationen von anderen Quellen zu beziehen, und man verliert jedes Vertrauen in das System."

Seit Wochen schon gehen Frauen und Männer mittleren Alters gegen mehrere Geldinstitute und die verspätete Auszahlung ihrer Renten und Pensionen in verschiedenen iranischen Städten auf die Straße. Die Demonstrationen blieben meist friedlich. Zum Tabubruch kam erst am Donnerstag, als eine von Präsident Rohanis Gegnern organisierte Demonstration in der heiligen Stadt Mashhad die Leute ermunterte, auch gegen die Regierung Hassan Rohanis zu demonstrieren.

Gleichzeitig meldeten die staatlichen Medien auch Proteste in zwei weiteren kleinen Städten in der Provinz Khorasan, einer Hochburg des konservativen Gegners Hassan Rohanis, Ebrahim Reisi. Ermuntert von den erstmals gegen die Regierung ausgerufenen Parolen, kommt es seit Freitag in mehreren kleinen Städten zu spontanen Demonstrationen. Vor allem Jugendliche wagen es, Forderungen gegen das iranischen System zu stellen.

Viele Auseinandersetzungen

Die Meldungen über die Demonstrationen verbreiteten sich in Windeseile über das ganze Land. 43 Millionen Iraner verfügen über einen Internetanschluss, fast jeder besitzt ein Mobiltelefon mit Internetzugang. Als die Welle große Städte wie Teheran erreichte und Parolen wie "Nieder mit der islamischen Republik" und "Es lebe die Republik Iran" zunahmen, kam es zu Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften. Diese aber reagierten zumindest zu Beginn zurückhaltend. Erst als Parolen gegen den religiösen Führer ausgerufen und seine Plakate von den Wänden gerissen wurden, ging die Polizei härter gegen sie vor. Laut offiziellen Zahlen starben dabei zwölf Menschen. Die Unruhen hielten am Montag weiter an, vor allem die Jugend scheint ermuntert, die Grundpfeiler der Islamischen Republik infrage zu stellen. Mit dreitägiger Verspätung wandte sich Regierungschef Hassan Rohani am Sonntag mit einer in der Kabinettsitzung aufgenommenen Videobotschaft an die Iraner.

Rohani gegen Trump

Er betonte, dass jeder ein Recht auf friedliche Demonstrationen habe, Gewalt aber inakzeptabel sei. Rohani ging auch, ohne dessen Namen zu nennen, auf US-Präsident Donald Trump ein, der sich auf die Seite der Demonstranten gestellt hatte: "Jemand, der seit Amtsantritt ständig gegen den Iran ins Feld zieht und den Iranern und Iranerinnen nicht erlaubt, sein Land zu bereisen und allen ausländischen Banken und Firmen verbietet, mit dem Iran Geschäfte zu machen, ist nicht berechtigt, sich als Freund Irans zu bezeichnen."

Am Sonntag hat der Chef der Justiz im Iran, Sadegh Larijani, ein hartes Vorgehen gegen gewaltsame Demonstranten angekündigt. Mit zwei Tagen Verspätung haben nun auch iranische Zeitungen damit begonnen, mit Einschränkungen über die Proteste zu berichten. Konservative Medien gehen von ausländischem Einfluss aus. Der Regierung nahestehende Medien hingegen zeigen mehr Verständnis für den Frust der Iranerinnen und Iraner. Sie rufen die Regierung dazu auf, die Menschen offen über die Probleme im Land – die ein Erbe der alten Regierung seien – zu sprechen. Die Tageszeitung Shahwand rief die Regierung dazu auf, auf die Forderungen der friedlichen Demonstranten Rücksicht nehmen.

Proteste in Wien

Die Nervosität auf beiden Seiten stieg am Montag weiter. Es besteht nun die Gefahr, dass bei weiter andauernden Unruhen die Revolutionsgarde in Erscheinung tritt und mit voller Härte gegen die Demonstranten vorgeht – was vor allem für Rohani negative Folgen haben könnte. Laut Behördenangaben hat ein Demonstrant in der Stadt Najafabad auf Sicherheitskräfte geschossen. Dabei sei ein Polizist getötet und drei weitere verletzt worden, meldete die Nachrichtenagentur Reuters am Montagabend unter Berufung auf Polizeiangaben im staatlichen Fernsehen.

Angesichts der sich zuspitzenden Lage hat Österreichs Außenministerium seine Reisehinweise für den Iran angepasst. Auch in Europa kam es zu Protesten. In Wien kamen am Montag rund 100 Menschen auf dem Stephansplatz zusammen, sie skandierten "Tod der Diktatur". (Amir Loghmany, 1.1.2017)

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