Großprojekt Aufmarsch auf dem Acker

Muss der Weizen dem Wachstum weichen? Im Münchner Norden - hier ein Feld in Feldmoching - sieht man der weiteren Entwicklung mit Sorgen entgegen. Die Bürger wollen mitreden, wenn über ihr Umfeld entschieden wird.

(Foto: Florian Peljak)

2018 könnten die Untersuchungen für ein riesiges Siedlungsgebiet zwischen Feldmoching und Ludwigsfeld anlaufen. Der Protest nimmt zu - ein Bürgerbündnis steht bereit, das Großprojekt kritisch zu begleiten

Von Simon Schramm

Eigentlich hätte es ja schon im Mai 2017 losgehen sollen: Das Planungsreferat hatte damals in die Untersuchungen für ein neues, riesiges Stadtquartier im Münchner Norden einsteigen sollen. Im Februar hatte die Stadtspitze angekündigt, in Feldmoching-Hasenbergl eine sogenannte städtebauliche Entwicklungsmaßnahme (SEM) zu planen.

SEM, das Kürzel bezeichnet ein Instrument aus dem Baugesetzbuch, mit Hilfe dessen die Stadt 900 Hektar zwischen Feldmoching und Ludwigsfeld als Siedlungsgebiet entwickeln will. Es geht um Äcker und Wiesen, um einen gigantischen Freiraum im von Wohnungsnot geplagten München. Und es geht um Anwohner, Grundstückseigentümer, Landwirte, die sich überrumpelt fühlen. Schon macht die Angst vor der Enteignung die Runde.

Angedacht war, dass der Stadtrat im Mai darüber diskutiert, ob entsprechende Analysen dazu eingeleitet werden. Im Viertel regte sich rasch massiver Protest gegen die SEM. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) verschob den Beschluss - bis heute ist offen, wann sich der Stadtrat mit der SEM Nord befassen wird. Doch 2018 wird wohl zumindest entschieden werden, ob dazu Untersuchungen beginnen sollen - oder das Großprojekt SEM Nord abgeblasen wird. So oder so: Die Intensität, mit der sich der Bezirk mit seinem Wachstum auseinandersetzt, wird zunehmen.

Die Stadtverwaltung jedenfalls hält an dem Großvorhaben fest. Man würde gerne in die Untersuchung einsteigen, heißt es aus dem Planungsreferat. In Verhandlungen mit den Grundstückseigentümern, wie bei einer SEM üblich, darf die Behörde erst treten, wenn der Stadtrat zugestimmt hat. Dennoch sei man schon mit Vertretern aus dem Viertel in den Dialog getreten, ist aus der Stadtverwaltung zu hören. Die Meinungen seien vielschichtig: Neben Ablehnung höre man auch Stimmen, die einer SEM nicht grundsätzlich entgegenstehen, das Projekt aber kritisch begleiten wollten. Im Frühjahr 2018 sei der nächste Termin mit einer Initiative geplant.

Unterdessen geht ein breites Bündnis von Bürgervereinen daran, die Diskussion über die SEM und ihre Folgen anzuschieben. Wie es um die Zukunft des Stadtbezirkes steht, beschäftigt die Menschen aber nicht erst, seitdem die Pläne zur SEM Nord im Umlauf sind. Nachverdichtet wird sowieso, in den vergangenen drei Jahren wurden zudem vier größere Neubausiedlungen in Aussicht gestellt. Neben der Bebauung am Feldmochinger Bahnhof will die Stadt im nördlichen Feldmoching und nahe der Grenze zur Lerchenau Wohnungen schaffen. Beide Projekte soll der Stadtrat 2018 auf den Weg bringen.

Viele Bürger sind verunsichert, ob der Bezirk diesen Zuzug verkraften kann. Das "Bürgerbündnis München Nord" will diesen Zweifeln Gehör verschaffen. Als erste Aktion ist eine Podiumsdiskussion Anfang Januar über die Zukunft des Münchner Nordens geplant. "Wir wollen klarmachen, dass wir das, was die Stadt da treibt, für äußerst unerträglich und problematisch halten", sagt Reinhard Sachsinger vom Verein Rettet den Münchner Norden. Am Bündnis beteiligt sind auch der Eigenheimerverein Feldmoching, die SEM-Gegner von "Heimatboden", der Bürgerverein Lerchenau, die Interessengemeinschaft Fasanerie und das Bündnis Gartenstadt München.

Mit der Ankündigung der SEM sei die Situation eskaliert, sagt Sachsinger. Der Stadt gelinge es nicht, die Wohnungssituation in den Griff zu bekommen und bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Sie müsse "neue Schritte gehen", fordert er, etwa mehr Grundstücke erwerben. "Sicher, dass München boomt, läuft auch unabhängig von der Politik. Aber das ist das Fatale bei der SEM Nord, da werden neue Arbeitsplätze geschaffen, die Spirale wird weitergedreht."

Viele Bewohner im Bezirk fühlen sich mit ihren Sorgen alleingelassen. Das bringt auch Sachsinger immer wieder zum Ausdruck. Die Verkehrssituation sei immer noch eine Katastrophe, sagt er. Ob und wie es mit den Maßnahmen aus dem Verkehrskonzept München Nord vorangehe oder beim Nordring, sei unklar. "Es wird immer nur geredet. Nur beim Bauen, da werden Tatsachen geschaffen." Wenn immer mehr Grünflächen zugebaut würden, büße der Stadtbezirk auch an Lebensqualität ein, ist sich Sachsinger sicher - und denkt dabei zum Beispiel an eine Achse von den Brachflächen am Feldmochinger Bahnhof zur Grünoase Eggarten.

Auch die Lärmbelastung von Autobahn-, Zug- und Hubschrauberverkehr im Viertel sei angemahnt worden. "Keine Reaktion von der Stadtregierung", sagt Sachsinger. Das Bündnis wollte eigentlich Oberbürgermeister Dieter Reiter zur Diskussion einladen; der Initiative zufolge habe er aber abgesagt, weil er keine Zeit habe. Nun hat sich Stadträtin Heide Rieke (SPD) angekündigt. Teilnehmen wird auch die CSU-Landtagsabgeordnete Mechthilde Wittmann. Die Podiumsdiskussion, bei der möglichst viele Bürger zu Wort kommen sollen, findet am Montag, 8. Januar, in der Fagana-Halle, Georg-Zech-Allee 15, statt und beginnt um 19 Uhr mit Vorträgen von Christian Hierneis, Vorsitzender der Kreisgruppe München-Stadt des Bundes Naturschutz, sowie dem Soziologen Detlev Sträter vom Münchner Forum.