- Die Studienplatzvergabe für Medizin ist teilweise verfassungswidrig. Das hat das Bundesverfassungsgericht entschieden.
- Bis Ende 2019 müssen Bund und Länder deshalb die Auswahlkriterien neben der Abiturnote neu regeln.
Das Vergabeverfahren für Studienplätze im Fach Humanmedizin ist teilweise verfassungswidrig. Das entschied das Bundesverfassungsgericht am Dienstag in Karlsruhe. Das Auswahlverfahren zum Medizinstudium verletzt demnach die Chancengleichheit der Studierenden und ist in einigen Bereichen mit dem Grundgesetz unvereinbar. Bund und Länder müssen deshalb bis Ende 2019 die Auswahlkriterien neben der Abiturnote neu regeln.
Fest steht dabei: "Es wird in Zukunft bei der Auswahl der Bewerber gerechter zugehen", sagt Rechtsanwalt Wilhelm Achelpöhler, der abgelehnte Bewerber bei ihren Studienplatzklagen vertreten hat. Für viele Studieninteressierte sei die Entscheidung aber hart: "Eine Garantie, zumindest irgendwann einen Studienplatz zu bekommen, gibt es nach der heutigen Entscheidung nicht mehr."
Für die Neuregelung schreibt der Gesetzgeber nämlich vor:
- In der Abiturbestenliste dürfen nicht solche Bewerber bevorzugt werden, die unbeliebte Hochschulorte präferieren.
- Die Hochschulen dürfen Bewerber nicht mehr deshalb benachteiligen, weil sie die betreffende Universität nicht ganz oben auf ihrer Ortswunschliste stehen hatten.
- Im Auswahlverfahren muss berücksichtigt werden, dass Top-Leistungen im Abitur in einigen Bundesländern schwieriger zu erreichen sind als in anderen.
- Die Hochschulen müssen ein Auswahlkriterium einführen, das unabhängig von den Schulnoten ist.
- Die maximale Wartedauer auf einen Studienplatz muss begrenzt werden - wer sie überschreitet, verliert seinen Anspruch auf einen Studienplatz also gänzlich.
- Verfahren, mit denen die Hochschulen die Eignung ihrer Bewerber selbst prüfen und die Auswahl abhängig von vorangegangenen Berufsausbildungen müssen standardisiert und strukturiert sein.
Die Entscheidung gilt für Studienplätze in der Human-, Zahn- und Tiermedizin sowie in der Pharmazie. In diesen vier Studiengängen werden die Plätze zentral vergeben.
Bei der Vergabe von Studienplätzen stehen verschiedene Rechte im Konflikt, die das Bundesverfassungsgericht gegeneinander abwägen musste. So darf das Zulassungssystem nicht das Grundgesetz verletzen, nach dem jeder seinen Beruf und seinen Ausbildungsort frei wählen darf. Wenn Ausbildungsplätze beschränkt sind, müssen sie nach dem Grundsatz der Gleichbehandlung vergeben werden. Diesen Rechten der Bewerber steht jedoch das Recht auf Wissenschaftsfreiheit der Hochschulen gegenüber, die für sich Autonomie bei der Wahl ihrer Studierenden beanspruchen. Deshalb sollen die Hochschulen auch künftig Spielräume bei der Gestaltung der Eignungsprüfung überlassen werden.
Zum laufenden Wintersemester galt es nach den Zahlen der Stiftung Hochschulzulassung, 9.176 Studienplätze deutschlandweit auf mehr als 43 000 Bewerber zu verteilen. Daran, dass nur jeder fünfte Bewerber einen Platz bekommt, wird sich durch das Urteil vorläufig nichts ändern - nur die Prinzipien dabei sollen gerechter werden. Ausdrücklich keinerlei Bedenken hatte das Bundesverfassungsgericht diesbezüglich dabei, dass 20 Prozent der Studienplätze in der Humanmedizin derzeit nur anhand der Abiturnote vergeben werden.
Anlass für die Entscheidung waren die Fälle von zwei Bewerbern, die vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen verhandelt wurden. Sie wurden mit Abiturnoten von 2,0 und 2,6 trotz längerer Wartezeit und Zusatzausbildung im Gesundheitssektor nicht zum Studium der Humanmedizin zugelassen. Wer kein sehr gutes Abitur oder Glück in Losverfahren hat, muss derzeit 14 Semester auf einen Studienplatz in der Medizin warten - also länger als die gesamte Regelstudienzeit. Die Richter in NRW kamen ihrerseits zu der Einschätzung, dass dies nicht mit der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts und dem Grundgesetz vereinbar sei - und legten die Fälle dem Bundesverfassungsgericht vor.
Mit Material der dpa.