Der Autor des Theaterstücks "Philipp Lahm" hat die Befürchtung, dass Fußballfans enttäuscht sein könnten - denn es geht aufgeräumt und gebügelt zu.
Bastian Schweinsteiger hat keins. Lothar Matthäus auch nicht, obwohl der definitiv eins verdient hätte. Nicht einmal Franz Beckenbauer. Philipp Lahm aber, der kriegt jetzt eins. Ein Theaterstück namens "Philipp Lahm". Geschrieben von Michel Decar, inszeniert im Marstall des Residenztheaters von Robert Gerloff. In der Titelrolle: Gunther Eckes.
Eckes wird am Samstag allein auf der Bühne des Marstall stehen und eine Person spielen, die neben Angela Merkel zu den berühmtesten Deutschen gehört und die von sehr vielen Menschen sehr verehrt wird. Trotzdem wirken Eckes, Gerloff, Decar und auch das Residenztheater einigermaßen überrascht von dem Ansturm, den sie gerade erleben. "Es kam in letzter Zeit vor, dass mir Leute unaufgefordert ihren FC-Bayern-Mitgliedsausweis unter die Nase gehalten haben", sagt Eckes.
Philipp Lahm bekommt ein Theaterstück - ohne es zu wissen
Klar: Wenn irgendwo "Philipp Lahm" draufsteht, denken alle an Fußball, kein Mensch an Theater. Ein bisschen Bammel hat Eckes deshalb vor dem Tag, an dem der Philipp-Lahm-Fanclub im Marstall sitzt, womöglich in voller FCB-Montur. Denn, um es vorsichtig auszudrücken: Es ist keine Star-Biografie, die Michel Decar da geschrieben hat. "Die werden enttäuscht sein. Viele Leute werden buhen und rausgehen, glaube ich", sagt Decar. Nicht, weil sie die Inszenierung schlecht finden könnten, sondern weil man am Nationalgut Lahm nicht heruminszeniert.
Nun muss man wissen, dass Michel Decar, 30, ein sehr umtriebiger und mit Preisen ausgezeichneter Autor ist, dessen Stücke stets von einem liebenswerten Irrsinn und einem gewissen Größenwahn durchzogen sind. Wenn der ein Drama über Fußball schreibt, hätte man vermutet, kürt er als Protagonisten sicher einen wie Marco Reus. Oder einen Jürgen Klopp, der sich schon so dramatisch aufführt, dass sich ein Stück von allein schreibt. Nein, er schreibt ein Drama über einen Fußballer, der zu den wohl undramatischsten Vertretern seines Berufsstandes gehört. Keine Ausraster, keine Poolpartys, alles gebügelt, alles aufgeräumt.
"Ist doch geil, mal nicht so ein Testosteronschwein ins Zentrum zu stellen", sagt Decar. Und Gunther Eckes: "Hier im Haus gab's gerade erst die Premiere von Richard III., da kann man ja nicht sofort einen Zlatan hinterherschieben." Und Robert Gerloff: "Der ausrastende Fußballer, der ist doch irgendwie Neunziger. "
Philipp Lahm ist ein Anti-Richard, keine Frage. Ein vorbildlicher Profi, der in seiner Karriere nie die Fassung verlor oder gar den Anschein erweckte, für Macht und Ruhm zum Widerling zu mutieren. "Er ist das Gegenteil. Einer, der auf andere Art Führung übernimmt", sagt Decar. So begleitet er Philipp Lahm im Text einfach durch dessen wohlstrukturierten Alltag: Fußnägelschneiden, DVD-Abend mit der Frau, Mittagessen bei Karstadt, wo Philipp Lahm gleich noch eine Mehrfachsteckdose kauft. "Ist doch eine gute Idee", heißt es in der Regieanweisung.
"Für mich ist das eine totale Herausforderung. Dieser Gegenentwurf zu dem, was normalerweise auf der Bühne stattfindet", sagt Regisseur Gerloff. "Viele Zuschauer stellen sich im Theater emotional ab. Sie setzen sich und schauen Richard dabei zu, wie er alle abschlachtet. Dieser Text dreht das um. Dieser Figur in ihrer absoluten Ausgeglichenheit und in all ihrer Zufriedenheit zuzuschauen, wie sie ihren Alltag geradezu liebevoll ausführt, da denkt man doch zwangsläufig: Wie unausgeglichen ist bitte mein Leben?"
"Ich war auch in einer Chaoten-Klasse. Ständig mussten wir putzen."
Wenn jemand im Theater also unbedingt sehen will, wie andere ausrasten und Dramatisches erleben - sein Problem. Der eigentliche Kampf soll diesmal nicht auf der Bühne stattfinden, sondern im Kopf der Zuschauer. Dafür sei Philipp Lahm in all seiner Philipp-Lahm-haftigkeit die perfekte Projektionsfläche: Professionalität, Mäßigung, Pragmatismus. Mehrfachsteckdose.