Nach Neuwahlen, Minderheitsregierung und großer Koalition bringt die SPD ein neues Modell ins Gespräch: die Koko, eine Kooperationskoalition. Was das ist und wie sie gelingen kann.
In Berlin wird noch immer um eine neue Bundesregierung gerungen. Folgende Möglichkeiten liegen auf dem Tisch: eine große Koalition von Union und SPD, gerne auch als Groko bezeichnet, eine Minderheitsregierung sowie Neuwahlen. Und nun kommt da plötzlich eine vierte Möglichkeit hinzu, ins Spiel gebracht von der SPD: eine Kooperationskoalition (Koko).
Der Begriff ist in der Politikwissenschaft nichts Neues. In mehreren Ländern regierten bereits Kooperationskoalitionen, in Schweden und Neuseeland zum Beispiel. Es gibt unterschiedliche Varianten, wie solche Kooperationen letztlich aussehen können.
Parteichef Martin Schulz erläuterte seine Vorstellung einer Kooperationskoalition in einer Fraktionssitzung bislang nur in groben Zügen: Es gebe dann zwar einen Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD. Dieser würde sich aber auf bestimmte Kernprojekte beschränken. Alle anderen Themenbereiche blieben offen und würden während der Legislaturperiode im Bundestag diskutiert und verhandelt. Ein bisschen Regierung, ein bisschen Opposition also?
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Was ist eine Koko?
"Aus meiner Sicht ist der Koko-Vorschlag der SPD eine Variante einer Minderheitsregierung", sagt Christian Stecker, Politikwissenschaftler am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES). SPD und Union könnten sich auf bestimmte Kooperationsbereiche einigen. Die Mehrheiten würden sich je nach Thema flexibel verschieben, die Union könnte also in Bereichen, in denen sie sich mit der SPD nicht einig ist, Kooperationen mit anderen Parteien eingehen, gleiches gilt für die SPD.
Das Koalitionsmodell, das heute üblich erscheint, in dem nahezu jeder Bereich und jedes Gesetzesvorhaben der Regierungspartner vorab in einem Koalitionsvertrag genau geregelt ist, gibt es überhaupt erst seit 1961. Damals wurde der erste schriftliche Koalitionsvertrag zwischen Union und FDP geschlossen. Vorher lief das eher per Handschlag, die politischen Vorhaben wurden dann erst in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers skizziert.
Bei der vergangenen großen Koalition von Union und SPD hingegen war in einem 185 Seiten umfassenden Koalitionsvertrag vorab schon bis ins Detail geregelt, welche Gesetze in den kommenden vier Jahren verabschiedet werden sollen.
Bei einer Kooperationskoalition entfällt dieses starre Korsett. Die SPD könnte bestimmte Bereiche in einem Vertrag mit der Union regeln und bei Themen, bei denen sie sich zum Beispiel eher in einem Boot mit den Grünen sieht, mit anderen Fraktionen im Bundestag stimmen. CDU, CSU und SPD seien während der letzten vier Jahre nur noch als ein einziger monolithischer Block wahrgenommen worden, sagt Koko-Befürworter Matthias Miersch, Sprecher der Parlamentarischen Linken der SPD-Bundestagsfraktion. Und die SPD habe Anträge von Linken und Grünen aus Koalitionsräson ablehnen müssen, "obwohl sie in unserem eigenen Wahlprogramm standen", so Miersch.
Noch ist aber nicht ganz klar, wie genau sich die SPD eine Koko vorstellt. "Die Idee der SPD ist bisher, im Rahmen einer großen Teil-Koalition bestimmte Projekte in einen Koalitionsvertrag zu schreiben", sagt Stecker. Offen lasse die Partei hingegen, ob sie darüber hinaus bei Streitthemen mit der Union Mehrheiten mit anderen Parteien im Bundestag zu bilden versucht beziehungsweise akzeptieren würde, wenn die Union dies tut. "Wenn sie sich tatsächlich darauf einlässt, wäre das eine Innovation", sagt Stecker.
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Was wären die Vorteile einer Koko?
Die SPD hat nach den beiden vergangenen großen Koalitionen große Stimmverluste erlitten. Sie hat an Profil verloren. Für viele in der SPD liegt genau darin der Grund, warum sie trotz wichtiger von ihr durchgesetzter Projekte, wie etwa der Mindestlohn, von den Wählern abgestraft wurden. Von einer Koko hingegen versprechen sich die Befürworter, dass wieder klarer hervortritt, wofür die SPD steht - und wofür nicht.
Für die SPD wäre es aus Sicht von Stecker deshalb lohnenswert, eine Koko auszuprobieren. Eine Art Groko light mit Oppositions-Elementen, die es ihr ermöglichen, ihr Profil wieder zu schärfen. "Die SPD könnte Bereichs-Opposition betreiben, muss dabei aber auch in Kauf nehmen, nicht auf jede Entscheidung einwirken zu können", sagt Stecker.
Eine Bürgerversicherung würde die SPD mit der Union vermutlich nicht durchsetzen können. "Zu so einer Niederlage kann die SPD aber sagen: Wir haben dafür gekämpft und wir haben verloren. Wählt uns beim nächsten Mal, dann haben wir mehr Stimmen und dann kann eine Bürgerversicherung nicht mehr verhindert werden", sagt Stecker.
Auch für die Union hätte eine Kooperationskoalition Vorteile. In großen Koalitionspaketen, wie Deutschland sie in den letzten zwei Legislaturperioden hatte, müssen bei bestimmten Themen riesige Gräben zwischen den Parteien mit Kompromissen überbrückt werden. "Angenommen, es gibt einen Kompromiss zwischen SPD und Union im Familiennachzug von Flüchtlingen. Dann wäre der rechte Rand weit aufgerissen. Dann knallen bei der AfD die Sektkorken", sagt Stecker. Eine Koko hingegen würde der Union einen Ausweg aufzeigen: Sie hätte die Möglichkeit, in der Flüchtlingspolitik am Status quo festzuhalten oder sich mit FDP und eventuell sogar AfD zusammenzutun, um den rechten Rand wieder zu besetzen. "Natürlich ginge es dann nicht darum, die extremen Positionen der AfD umzusetzen, sondern moderate rechte Positionen mit Unterstützung der AfD durchzubringen."
"Eine Koko spricht den Wunsch der Wähler an, dass Parteien klar zu ihren Prinzipien stehen und weniger Kompromisse eingehen. Dabei gehören Kompromisse natürlich zum Wesen der Demokratie. In einer KoKo könnte man diese Kompromisse aber stärker auf Themen beschränken, wo sie für die eigenen Wähler akzeptabel sind", sagt Stecker.