Die "Nürnberger Gesetze" der Nazis öffneten den Weg bis zum millionenfachen Mord. Ein Band dokumentiert, wie es zum furchtbaren Bruch mit der Rechtstradition kam.
Die sogenannte Erbgesundheitspolitik in Deutschland war lange vor dem Beginn der NS-Diktatur im Schwange. "Erbgesund" und "rasserein" war das Credo der Völkischen, das Eingang ins Zentrum der NS-Ideologie fand. Ein Sammelband wirft nun einige Schlaglichter auf die Entstehung und die Wirkung der Nürnberger Gesetze.
Bereits vor 1914 wurde in Deutschland über Eheverbote mit "Eingeborenen" in den Kolonien unter dem Aspekt der "Rassenmischung" (Cornelia Esser), oder, wie es auch hieß, "Bastardisierung" räsoniert. Das gehört ebenso zur Vorgeschichte der "Blutschutz"-Gesetze vom Herbst 1935 wie die weit verbreiteten antisemitischen Diskriminierungen, die dafür sorgten, dass sich manche deutsche Kurorte und Seebäder zu "No-go-Areas" für Juden entwickelten (Frank Bajohr).
Das Delikt der "Rassenschande"
In zahlreichen geheimen NS-Stimmungsberichten ist zu lesen, dass mit der Machtergreifung ein ständiger "Druck von unten" bestand, die antijüdische Rhetorik der Partei und die unkontrollierten Gewalttätigkeiten des antisemitischen Mobs wie das öffentliche Zurschaustellen von "Rassenschändern", das sich in Einzelaktionen immer wieder niederschlug, endlich auch in Gesetzen festzuschreiben. Das Delikt der "Rassenschande", ein Begriff aus der Kaiserzeit, erlaubte es künftig, die Intimsphäre eines jeden Bürgers zum Gegenstand hochnotpeinlicher Untersuchungen zu machen.
Es ist richtig, dass die Entscheidung zugunsten der Verabschiedung der Nürnberger Gesetze erst während des Parteitages 1935 von Hitler getroffen wurde und dass die Beamten kurzfristig nach Nürnberg befohlen wurden. Die Auswirkungen des beschlossenen Gesetzestexts - "unter grotesken Verhältnissen auf alten Speisekarten in einer Bierstube" fixiert - waren folgenschwer.
Am 15. September 1935 wurde das Gesetz vom eilig zusammengerufenen Reichstag in Nürnberg angenommen - einstimmig und frenetisch gefeiert. Und damit war das nationalsozialistische Deutschland endgültig zu einem "Rassestaat" geworden und die deutschen Juden aus der staatlichen Rechtsgemeinschaft "herausdefiniert" (Hans-Christian Jasch). In der Präambel des "Blutschutzgesetzes" (BlSchG) hieß es, eine "Lösung der Judenfrage" sollte durch "Trennung der Blutströme" bei künftiger "Reinerhaltung des Blutes" sichergestellt werden.
Die Rassengesetze bestimmten fortan weite Bereiche des öffentlichen und privaten Lebens der Bevölkerung und spielten zudem eine zentrale Rolle bei der Festlegung des Kreises derjenigen Personen, die im Zuge des NS-Mordprogramms aus großen Teilen Europas deportiert und ermordet werden sollten.
Die Nürnberger Rassegesetze bestehen aus zwei Teilen: dem Gesetz "Zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre" sowie dem "Reichsbürgergesetz". Reichsbürger war fortan nur der Staatsangehörige deutschen oder "artverwandten Blutes", der "gewillt und geeignet" schien, "in Treue" dem deutschen Volk und Reich zu dienen.
Damit waren Juden mit einem Federstrich keine Reichsbürger mehr. Das "Blutschutzgesetz" verbot unter Androhung von Zuchthausstrafen Eheschließungen und außereheliche Beziehungen zwischen "Deutschblütigen" und Juden, was als "Rassenschande" gebrandmarkt war.
Alltäglicher Hass - So wurden Juden in Hitler-Deutschland verfolgt
Wilhelm Stuckart, Staatssekretär im Innenministerium, und Ministerialrat Hans Globke - der als Adenauers Intimus im Kanzleramt noch eine andere beachtliche Karriere vor sich haben sollte - steuerten die Gesetzeskommentare bei, die es in sich hatten:
Sie bezeichnete es als Ziel nationalsozialistischen "Rasserechts", dass das ins deutsche Volk "eingedrungene jüdische Blut soweit als möglich wieder ausgeschieden" werde, beziehungsweise die an die "deutsche Erbmasse gebundene jüdische Erbmasse" möglichst schnell und immer weiter aufgeteilt werde, bis die entstandene "Mischrasse" praktisch verschwunden sei. Vor so viel verquaster Eugenikmetaphorik mag man erschaudern.