Denise Herrmann Starke Lunge, nervöser Finger

Denise Herrmann in Hochfilzen.

(Foto: Bongarts/Getty Images)
Von Volker Kreisl, Hochfilzen

Denise Herrmann war sehr lange Langläuferin, da kann man schon mal ein Ziellinien-Problem davontragen. Im Langlauf hängen tendenziell die Sportler aus Schneenationen jene ab, die aus Ländern stammen, deren Wiesen auch im Winter immer häufiger grün schimmern. Im Wettkampf führt das meistens dazu, dass selbst mitteleuropäische Hochkaräter die Ziellinie erst dann sehen, wenn skandinavische Läufer dort schon ihre Spur hinterlassen haben.

Irgendwas hat das in Denise Herrmann ausgelöst, vielleicht kein Trauma, aber doch eine Art offene Rechnung im Hinterkopf. Als Langläuferin war die 28-Jährige auch schon sehr schnell, doch erst in der vergangenen Woche, in Östersund/ Schweden, da passierte es. Herrmann bog um die letzte Kurve, sie schaute sich noch einmal um, sie war tatsächlich auf dem Weg zum Ziel. Und vor ihr erstreckte sich glatter, weißer, gänzlich unbefahrener Schnee, dahinter lag eine frische Ziellinie und drumrum lärmte ein richtig großes Weltcup-Publikum. Endlich kam sie als Erste an, "davon hab' ich immer geträumt", sagt Herrmann. Alles wurde auch so, wie sie es sich ausgemalt hatte, nur: Mittlerweile hat sie auch noch ein Gewehr dabei.

Effizienter und gut organisierter Langlauf-Biathlon-Umstieg

Selten hat es einen derart effizienten, gut organisierten und daher auch rasant verlaufenen Langlauf-Biathlon-Umstieg gegeben. Kati Wilhelm und Evi Sachenbacher zum Beispiel brauchten länger, bis sie in die Weltspitze aufrückten, Herrmann hat vor rund 18 Monaten ihren ersten Schuss gesetzt, und vor einem halben Jahr erst ihren eigenen Gewehrschaft maßangefertigt bekommen.

Langläuferin gewinnt im Biathlon

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Schon nach einem halben Jahr absolvierte sie die ersten Rennen, gewann zum Auftakt, steckte aber auch bald Niederlagen ein. Logisch, dachte man, sie gehört eben wie alle Biathlon-Lehrlinge noch eine Weile in den zweitklassigen IBU-Cup. Doch dann brach die Saison 2017/2018 an, und Herrmann gewann in Östersund erst einen Sprint (bei dem gestaffelt gestartet wird, also noch kein Ziellinienerlebnis), und dann noch die Verfolgung. Und jetzt ist alles anders.

Biathlon ist der Lieblingswintersport der Deutschen. An Herrmanns Fersen heften sich ab sofort nicht nur die Konkurrentinnen im Rennen und danach das Begleitpersonal für Dopingtests, Medientermine und Zeremonien, sondern auch immer mehr Reporter - für Biathlon-Portale, für Regionalzeitungen aus ihrer Heimat Sachsen, aber auch von Nachrichtenmagazinen. Vom wackeligen Geheimtipp, dessen Aufgehen nicht absehbar war, wurde sie über zwei Nächte zur Siegläuferin. Auch die Tatsache, dass sie nun am Freitag im Sprint von Hochfilzen bei Schneetreiben vier Fehler schoss, dürfte so schnell nichts daran ändern, dass ihr Potenzial das deutsche Frauen-Team für Olympia in die Favoritenrolle bringt.

Denn da ist ja noch Laura Dahlmeier, 24, aktuell fünffache Weltmeisterin, die nach ihrer Erkältung am Freitag mit einem 16. Platz in die Saison einstieg. Die beiden werden sich womöglich ab sofort ein internes, befruchtendes Duell liefern. Herrmann sagt: "Ich bin schon ein bisschen auf 'ne Challenge aus, ich laufe gerne direkt Frau gegen Frau." Davon profitiert mal die eine mehr, mal die andere, einer profitiert aber immer: Der Deutsche Skiverband (DSV), dessen Frauenteam bei den Olympischen Winterspielen 2014 in Sotschi ohne Medaille geblieben war.

Herrmanns plötzliche Attraktivität hat auch mit einem Phänomen zu tun, das einst zum großen Erfolg der Rekordweltmeisterin Magdalena Neuner beitrug, an dem andere Biathletinnen aber auch gescheitert sind: Die Kombination aus starker Lunge und nervösem Zeigefinger. Nichts bringt mehr Spannung, als eine Läuferin, die am Schießstand fehlbar ist, die aber dann von Zwischenzeit zu Zwischenzeit ihren Rückstand wieder aufholt. Neuner hatte teils sogar Halbe-Runden-Abstände bis zum Ziel weggeputzt, Miriam Gössner dagegen scheiterte irgendwann unter dem Erwartungsdruck am Schießstand, und Herrmann hat fürs Erste gezeigt: Auch mit einem Fehler gewinnt sie, vielleicht sogar mit zweien.