"Gefangene Gedanken" vom jüngsten Preisträger

Beim elften Literaturpreis „Ohrenschmaus“ gab es mit einem 18-Jährigen den jüngsten Preisträger in der Geschichte des Bewerbs.
„Gefangene Gedanken. Manchmal lässt du die Gedanken frei und manchmal sperrst du sie ein. Gefangene Gedanken sind in deinem Kopf, doch irgendwann werden sie ziehen. Irgendwann werden sie ziehen und dann sind sie frei. Nichts hält sie noch zurück und nichts hält sie noch bei dir. Sie ziehen in die Weite hinaus, denn sie sind jetzt frei. Sind jetzt frei und nicht mehr gefangen.“
Foto: Heinz Wagner
Mit diesem so knappen und doch tiefgründig philosophischen Text reihte sich David Tritscher unter die drei Hauptpreisträger_innen des diesjährigen Literaturpreises „Ohrenschmaus“ ein. Dieser Preis für Autorinnen und Autoren mit Lernschwierigkeiten wurde rund um den internationalen Tag der Menschen mit Behinderung zum elften Mal vergeben. Mit 186 eingesandten Texten erreichte der Bewerb in diesem Jahr ein Rekordergebnis. David Tritscher ist mit 18 Jahren der bisher jüngste, der sich in diesem Jahrzehnt in die Sieger_innen-Liste des von Franz-Joseph Huainigg initiierten Preises eintrug. Über den Preis kann übrigens gar nicht oft genug wiederholt werden, was sein Schirmherr (und einer von fünf Juror_innen), der bekannte Autor Felix Mitterer, vor Jahren darüber meinte: „Kein Mitleidsbonus, keine Peinlichkeit – einfach Literatur“.
Küche, Gastro, Texte, Musik
Foto: Heinz Wagner
Zurück zum schon erwähnten Gedanken-Dichter: Vor rund zwei Jahren hat der junge Mann begonnen Texte zu schreiben und zu sammeln. Dazu gekommen sei er durch Zufall, „irgendwie haben mich Lieder von Udo Jürgens inspiriert“, sagt er nach der Preisverleihung in der Ovalhalle des Wiener MuseumsQuartiers dem Kinder-KURIER, „weil seine Lieder und Texte einfach toll sind.“ Seit er angefangen hat, kann er sozusagen nicht aufhören. Erst waren es ein paar, dann schon 100 und 200. Jetzt hab ich schon 386 Texte geschrieben.“ Für „Ohrenschmaus“ hat er drei Texte eingereicht und freut sich – nona – darüber gleich mit einem gewonnen zu haben. „Ich schreib über verschiedene Themen, zum Beispiel oft auch über Umwelt UND“ fügt er hinzu „ich war auch schon einmal mit meinen Texten bei einem Poetry Slam, da war ich der einzige Mensch mit einer Sehbehinderung.“ Trotz seines nur 10%-igen Sehvermögen kommt er „sehr gut ohne Hilfsmittel im Alltag zurecht. Ich mach eine Teillehre in Küche und Gastronomie, das gefällt mir sehr, aber lieber schreibe ich Texte. Außerdem spiele ich Piano in einer Band.“
Innehalten
Foto: Heinz Wagner
Mit ihrem Text „Langsam werden“ sprach eine weitere Hauptpreisträgerin vielen im vollbesetzten Saal aus der Seele. Langsamkeit einmal nicht als Schwäche, als Defizit, sondern als Stärke in der stets hektischer werdenden Zeit – das drückt Melanie Koller von der Tagesstätte Zuversicht, Klein Pertholz/Heidenreichstein in ihrem Text aus. Die Jury bedankte sich für diesen Ratschlag – und alle stimmten – wenigstens für Augenblicke – ein.
Lachen
Foto: Heinz Wagner
Für so manchen Lacher sorgte der Mundart-Text „De guade blaue Schmierfettn“ des dritten im Bunde der Hauptpreisträger_innen: Christoph Dietrich, der in seinen Beitrag nicht nur Humor, sondern viel Fachwissen über verschiedenste Schmier- und Gleitmittel und deren Behandlung einfließen hat lassen. Und er verblüffte in seinem kurzen Sieger-Interview auf der Bühne, als er meinte, dass ihn trotzdem der Sieg mit seinem Team im Floor Hockey bei den Special Olympics japanischen Nagano besser gefallen habe als der Literaturpreis hier. Einfach ehrlich. Der Steirer malt aber auch gerne – und gemeinsam mit einem Kollegen und einer Kollegin aus der „Lebenshilfe“-Medienwerkstatt im steirischen Lieboch trat er in T-Shirts mit einem Spruch eines anderen Kollegen, Anton Lazarus, der Medienwerkstatt auf: „Keinen Sinn für Humor zu haben, ist nicht lustig“.
„Genusssvoller“ Text
Foto: Heinz Wagner
Ein besonderer Preis geht jedes Jahr an einen kurzen, prägnanten Text, der auf die Schleife einer speziellen Doppel-Schokolade gedruckt wird. Der bekannte kreative Schoko-Schöpfer Zotter erfindet dafür jedes Jahr neue Mischungen. „DRÜBASCHLOFA, HELI!“ ist ein auf den Punkt gebrachtes Plädoyer dafür, bei einem Konflikt erst eine Pause einzulegen, geschrieben von einem „oid’n Hawara“ - Peter Gstöttmaier hat sich mit diesem Text zum sechsten Mal hintereinander in die Sieger- oder Ehrenliste des Literaturpreises eingetragen.
Ehrenliste
Foto: Heinz Wagner
Für viele Lacher sorgte so mancher jener Texte, die es in diesem Jahr auf die Ehrenliste geschafft haben, wie Muammer Yüce übers „saufen“, Viktor Noworski („Göld is guad, åwa ka Heiratsgrund“) oder den Mitgliedern der Forum Logos-Gruppe von Wege zum Wohnen, Christian(e) Kargl, Martin Kautnik, Bryn Wunsch-Grafton, Paul Text, Alexander Safrany mit der Aufschreiberin DT („Der Alte Kaiser in vielen Welten“). IN Letzterem geht es unter anderem, wie der Name Christian(e) zeigt auch um die Frage, ob lieber Frau oder Mann. Diese/r Autor/in, die äußerlich ein Mann ist, sagt über sich: „Ich bin von innen eine Frau, eine Außerirdische, eigentlich ein Mann, aber weil ich einer Frau, die mir viel geholfen hat, viel verdanke, fühl ich mich als Frau.“
Tiefsinnig ist die kurze Abhandlung von Brigitte Koxeder über die Hülsenfrucht Erbsen, in der es unter anderem heißt: „Erbsengroß ist meine Geschichte. Ich Erbselein bin klein, rund und grün, befinde mich als kleine, runde, grüne Kugel.“