Fusion Kampf gegen einen unsichtbaren Gegner

Apotheke trifft Versicherer: CVS Health übernimmt den Versicherungskonzern Aetna und möchte damit vorbeugend auf mögliche Wettbewerber wie Amazon reagieren. Für die Kunden könnte das auch Nachteile mit sich bringen.

(Foto: Panoramic/imago)

Die US-Drogeriekette CVS und der Krankenversicherer Aetna fusionieren - auch, um sich vorsorglich gegen Amazon zu wappnen.

Von Claus Hulverscheidt, New York

Um die Dimension eines Geschäfts zu erfassen, ist es manchmal hilfreich, sich eines Vergleichs zu bedienen: Der größte US-Drogerie- und Apothekenbetreiber CVS Health übernimmt für rund 69 Milliarden Dollar den Versicherungskonzern Aetna - das ist so, als schlösse sich in Deutschland die dm-Kette mit der Barmer Ersatzkasse oder einem der großen privaten Krankenversicherer zusammen. Auch wenn der Vergleich sicher hinkt: Er zeigt, dass die geplante Transaktion nicht einfach eine der üblichen Fusionen ist, die so viele Branchen von der Unterhaltungsindustrie bis zur Agrarchemie derzeit prägen. Das Geschäft hat vielmehr das Potenzial, die Strukturen im US-Gesundheitswesen grundlegend zu verändern.

Anders als meist üblich, ist das vorrangige Ziel der Fusion nicht, Kosten zu sparen - die sogenannten Synergieeffekte werden auf gerade einmal 750 Millionen Dollar taxiert. Stattdessen geht es CVS und Aetna vor allem darum, in einem sich rapide verändernden Markt näher an den Kunden zu rücken und möglichst viele Dienstleistungen, von der Versicherung bis zur Medikamentenausgabe, aus einer Hand anbieten zu können. Theoretisch - so stellen sich beide Firmen das zumindest vor - muss der Versicherte das neue CVS/Aetna-Imperium im Fall einer leichteren Erkrankung künftig gar nicht mehr verlassen. Vielmehr kann die komplette Versorgung innerhalb des Systems geleistet werden.

Die Gesundheitsdienstleister in den USA stehen derzeit gleich in mehrerlei Hinsicht unter Druck. Die Preise, insbesondere die für Medikamente, steigen, gleichzeitig drängen neue, branchenfremde Anbieter wie Amazon in den Markt und bedrohen die Pfründen der bisherigen Platzhirsche. Vor allem aber verändert die Digitalisierung das Verhalten vieler Menschen bei kleineren Gesundheitsproblemen. Statt wochenlang auf einen Facharzttermin zu warten, telefonieren oder chatten die Bürger zunächst einmal mit einem Mediziner. Mit dem Rezept, das sie per App erhalten, können sie dann online Medikamente bestellen, die idealerweise noch am selben Tag geliefert werden. Es gibt Versicherer wie den Internet-Anbieter Oscar, die sich genau auf diese moderne Form der Medizindienstleistung spezialisiert haben.

In Zukunft könnte der Versicherer seine Kunden in die firmeneigene Apotheke oder Ambulanz schicken

CVS könnte künftig in seinen landesweit fast 10 000 Geschäften Aetna-Policen zum Kauf anbieten, Aetna wiederum würde seine Versicherten bei kleineren Erkrankungen in die CVS-Apotheke oder in eine jener rund 1100 Ambulanzen schicken, die der neue Mutterkonzern betreibt. Eine Terminabsprache ist dort nicht nötig, vielmehr stehen an sieben Tagen in der Woche rund um die Uhr Ärzte, Berater, Pfleger und Diagnosegeräte zur Verfügung. Darüber hinaus sollen viele CVS-Geschäfte zu sogenannten lokalen Gesundheitszentren erweitert werden, die auch Ernährungs- und Fitnessberatung sowie etwa Hör- und Sehtests anbieten. Die Idee dahinter ist, Versicherte früher als bisher üblich zu beraten, Erkrankungen möglichst zu vermeiden - und Aetna Kosten zu ersparen.

"Wir eröffnen 10 000 neue Eingangstüren für die Gesundheitsversorgung in Amerika", sagte CVS-Chef Larry Merlo, der auch den künftigen Gemeinschaftskonzern führen wird. "Wir bringen Gesundheitsversorgung dorthin, wo die Menschen leben und arbeiten." Allerdings birgt der Zusammenschluss für die Aetna-Versicherten auch Risiken: So ist vorstellbar, dass sie den Arzt oder die Apotheke bald nicht mehr frei wählen können, sondern jene Mediziner konsultieren müssen, die mit dem neuen Gesundheitsriesen kooperieren oder in seinen Ambulanzen arbeiten.

Mit dem Fusionsplan reagieren die Unternehmen auch darauf, dass die Kartellbehörden traditionelle Zukäufe - also etwa den Zusammenschluss zweier Versicherer oder Drogerieketten - immer häufiger aus Wettbewerbsgründen untersagen. Auch der Kauf von Aetna durch CVS wird die Kartellwächter auf den Plan rufen, da beide Firmen in Teilmärkten wie der Versorgung älterer und behinderter Menschen im Rahmen des staatlichen Medicare-Programms eine bedeutende Rolle spielen. Umgekehrt könnte eine stärkere Marktmacht der Gesundheitsdienstleister den Anstieg der Medikamentenpreise dämpfen, unter dem Versicherer wie Versicherte in den USA ächzen. Dass die Behörden die Übernahme untersagen, gilt deshalb als eher unwahrscheinlich.

Vor allem aber geht es CVS und Aetna darum, sich dem Vormarsch des Online-Handelsriesen Amazon auf dem Arzneimittelmarkt in den Weg zu stellen, noch bevor dieser überhaupt begonnen hat. Allein das Gerücht, dass Amazon nach dem Einzelhandel, der Filmindustrie, dem Supermarktgeschäft und einer Reihe weiterer Branchen nun auf Medikamente schielt, hat in der Branche erhebliche Nervosität ausgelöst. Auch in Deutschland blickt man gespannt auf die Veränderungen, welche die Digitalisierung im US-Gesundheitsmarkt auslöst. Allerdings lässt sich die dortige Entwicklung wegen der völlig anderen Marktstrukturen in Deutschland, wo öffentliche Krankenkassen dominieren und strenge Vorschriften für Apotheken gelten, nicht ohne Weiteres übertragen.

CVS erwirtschaftete mit seinen Drogeriemärkten und als Gesundheitsmanager für große Firmen einen jährlichen Umsatz von zuletzt 178 Milliarden Dollar. Aetna ist mit fast 23 Millionen Versicherten der drittgrößte Krankenversicherer der USA.