Kunst Des Rätsels Anziehungskraft

Das Kölner Museum Ludwig deckt in einer akribischen Spurensuche auf, welche Quellen der US-amerikanische Maler James Rosenquist für seine Kunst einsetzte.

Von Till Briegleb

Als James Rosenquist nach der Wende für die Deutsche Bank den Monumentaltriptychon "The Swimmer in the Econo-mist" malte, da schuf er seiner Meinung nach eine Abrechnung mit dem Kapitalismus. Er reihte Zitate von Pablo Picassos "Guernica" und Selbstzitate aus seinem Bildzyklus "F-111" an infernalische Himmelsfeuer und Wirbelstürme aus Werbemotiven, um damit einen aktuellen Blick auf den "alten Pakt zwischen Wirtschaft und Militär" zu werfen, der die Welt zerstöre. Doch sein Kunde, von jeher ein Hauptakteur dieses Paktes, hing die fast 50 Meter lange radikale Wandzeitung in Pop-Farben voller Stolz an die Wände seiner Guggenheim-Dependance in Berlin. Wie ist das Missverständnis möglich?

Die überwältigende Farb-, Bilder- und Formenorgie, in deren verstörende Wirkung der Maler so große Hoffnung setzte, ist jetzt als zentrales Werk der großen James-Rosenquist-Retrospektive "Eintauchen ins Bild" im Kölner Museum Ludwig wieder zu sehen und stellt dort diese wichtige Frage nach Absicht und Wirkung von Kunst. Rosenquist, den die Kunstwelt einen Hauptvertreter der Pop Art nennt, während er sich lieber als "Anti-Pop-Künstler" bezeichnete, hat in seiner fünfzigjährigen Karriere stets Allegorien vertraut, seinen privaten Allegorien. Doch diese stark assoziativen Verknüpfungen zwischen Motiv und inhaltlicher Zuschreibung durch den Künstler blieben für den uneingeweihten Betrachter oft eher rätselhaft.

Schon sein vierseitiges Raum-Gemälde "F-111" von 1965, das ursprünglich für die Galerie von Leo Castelli in New York konzipiert war und nun in Köln als einer von drei Kunsträumen Rosenquists zu sehen ist, zeigt in heiteren Farben viel Fröhlichkeit - deren Doppelsinn ohne Erläuterung kaum eindeutig zu entziffern ist. Ein lachendes, blondes Kind unter einer Trockenhaube, ein Autoreifen über einem Kranzkuchen, ein Atompilz unter einem bunten Sonnenschirm, die stolzen Insignien der Air Force und der Kampfjet F-111 als verbindendes Element, die Luftblasen aus einem Schnorchel neben den Rosenquist-typischen Spaghetti in Tomatensoße - auf 26 Metern Länge und drei Metern Höhe reihen sich hier Konsumanreize aneinander, als wäre "F-111" eine freche Marketing-Collage für den alten US-Wirtschaftspatriotismus.

Tatsächlich suchte Rosenquist für den Fries spezielle Motive aus Anzeigen und Artikeln des Life-Magazins, seiner Hauptbildquelle in den Anfangsjahren. Nahezu alle vergrößerten Reproduktionen von Bilddetails, die hier in einen assoziativen Zusammenhang gestellt werden, beziehen sich auf Firmen, die sowohl bekannte amerikanische Konsumgüter wie Bestandteile tödlicher Waffen herstellten: etwa Dow Chemical, General Electric oder Firestone. Und Rosenquist vertraute darauf, dass sich diese Hintergründe dem Betrachter als eine Art transzendente Botschaft vermitteln würden, die auch ohne Verweis auf die Quellen verständlich wird.

Yilmaz Dziewior, der Direktor des Kölner Museums, hat nun genau die Spurensuche eingeleitet, die den ursprünglichen Zusammenhang wiederherstellt. Drei Mitarbeiter werteten ein halbes Jahr lang Tausende alte Life-Magazine aus, um die exakten Vorlagen zu finden, von denen Rosenquist Teile vergrößert abgemalt hat. In den Vitrinen mit Beispielsammlungen stößt man dann darauf, dass der Kuchen, der auf dem berühmten Gemälde von John F. Kennedy "President Elect" (1965) diesem ins Gesicht ragt, eine Backmischung namens "Devil Food Mix" ist. Oder dass auf der Camel-Anzeige, die Rosenquist für sein Joan- Crawford-Porträt benutzt hat, die Gesundheitsrisiken des Rauchens als wissenschaftlich wiederlegt behauptet werden.

Vielleicht braucht es diese akribische Spurensuche nicht, um den versteckten Zorn des Malers auf die verderbliche Verführungskraft der Werbung zu verstehen. Ein Zorn, der sich in der aggressiven Farbgebung, den oft brutalen Schnittkanten und später in der gewaltigen Verzerrung seiner Vorlagen eher symbolisch zeigte, der aber gelegentlich auch sehr direkt aufscheint. Etwa in seinen knackigen Abbildern von riesigen Pistolen in "Professional Courtesy" von 1996, mit denen er den freien Waffenhandel und seine tödlichen Folgen in den USA thematisierte, oder mit den bemalten Streifenvorhängen, die wie in "Forest Ranger" (1967) einen Panzer der Marke Chevrolet mit einer Fleischsäge und einem Abfalleimer kombinieren.

Aber die in dieser Schau angebotene Hinterfütterung seiner Bilderzählungen mit Verweisen auf die Originale schafft ein Indiziengeflecht, aus dem heraus Rosenquists lebenslange Beschäftigung mit bildmächtiger Promotion verständlich wird. Indem er seine kritischen Gedanken in den verführerischen Motiven seiner Zeit malte, griff er auf die Methode der historischen Ikonografie von Allegorien zurück. Die wurden über Jahrhunderte als schöne und auch nackte Frauen dargestellt, als exotische Tiere oder surreale Übertreibungen, also als die Hingucker der vorindustriellen Zeit.

Trotzdem wollte sich Rosenquist - und das zeigt diese umfassende Werkschau mit prominenten Beispielen aus 50 Jahren in großer Opulenz - ästhetisch nie von der Wirkungsmacht kommerzieller Verlockung distanzieren. Durch die Auswahl seiner Vorlagen und die Wahl von Formaten, die für Wandgemälde üblich sind, bedient er sich ganz bewusst der Macht des verlockenden Scheins. Rosenquist, der seit 1953 bis 1960 sein Geld als Plakatmaler in Minneapolis und New York verdiente, wo er kleine Werbe-Vorlagen auf riesige Häuserwände übertrug, nutzte diese Erfahrung, um die Kraft seiner Kunst ins Überwältigende zu vergrößern.

Seine Konsumkritik wirkt auf den ersten Blick wie Kapitalismusbegeisterung

Tatsächlich sah Rosenquists Konsumkritik nicht nur auf den ersten Blick aus wie Kapitalimusbegeisterung. Sie war immer auch bestimmt von seiner Vorliebe für die Anziehungskraft des Warenfetischismus, ein Widerspruch, dessen sich der Maler stets bewusst war. Wie Andy Warhol, der ebenfalls aus der Werbung zur Kunst kam, liebte Rosenquist die Wirkmechanismen bildhafter Überzeugungskraft, und er benützte sie willentlich für seine Intentionen so, dass ihr Impuls nicht verloren ging. Wie Robert Rauschenberg bezog er sich bei seiner Umdeutung der Motive ins Verstörende und auf den ebenfalls mit Werbung sein Geld verdienenden Dada-Künstler Kurt Schwitters und dessen Collagetechnik, die stark mit Irritationen arbeitete.

Aber er schätzte auch die "krude Form des Surrealismus", mit der Werbung die Aufmerksamkeit der Menschen erzwingt: "Rätselhafte Symbole halten das Adrenalin hoch", wie Rosenquist es einmal auf den Punkt brachte. Und hier findet sich ein Grund, warum die Adressaten seiner Kritik Rosenquists Absicht oft als so harmlos empfanden, dass sie seine Bilder zur Eigenwerbung ausstellten. Man kann die Zitatcollagen auch nur als tolle, bunte Malerei eines renommierten Pop-Künstlers lesen.

Es fällt auch nicht schwer, Rosenquist in eine Reihe mit Glitzerkünstlern wie Andy Warhol, Jeff Koons oder Damien Hirst zu stellen, die eine zu kritische Interpretation ihrer Werke stets mieden. Denn Rosenquist, der während der Vorbereitung der Kölner Ausstellung im März dieses Jahres in New York verstarb, wollte mit seinen Bildern nie "predigen". Lieber vertraute er auf die Anziehungskraft des Rätsels. Deswegen ist sein "Schwimmer im Wirtschaftsnebel", den er für die Deutsche Bank malte, ebenso wie die meisten seiner anderen Gemälde, eben offen wie Kunst und nicht fordernd wie eine Wandzeitung. Und bewahren nur deshalb ihre kritische Verführungskraft bis heute.

James Rosenquist. Eintauchen ins Bild. Museum Ludwig, Köln. Bis 4. März, Katalog (Prestel Verlag) 49,95 Euro.