Menschen mit Migrationshintergrund haben es im deutschen Arbeitsleben oft schwer - trotz guter Ausbildung und Anti-Diskriminierungsgesetz. Das hat Gründe.
Für Julian Mayer sind es stets die ersten fünf Minuten. Ob Besprechung oder Vorstellungsgespräch, es gilt, diese 300 Sekunden zu überwinden. Er ist ein ganz normaler junger Mann, hat breite Schultern, er trägt gern Poloshirts. Doch seine Haut, die ist eben oft einen Tick weniger weiß als die seiner Gesprächspartner, sein Haar etwas lockiger. Und offenbar ist das in diesen Momenten wichtiger als die Fakten: Mayer hat Maschinenbau und Produktionstechnik studiert, nebenher gearbeitet, in seinem Bereich gilt er als Nachwuchstalent, eine Fachkraft wie aus einem Wunschkatalog der Industrie. Und doch reagieren Menschen oft reserviert.
"Natürlich gibt es kein spezifisches Augenzucken, aber man merkt das einfach", sagt Mayer. Das ist der Grund, warum er seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Und der Grund, warum seine wichtigste Aufgabe in Vorstellungsgesprächen in den ersten Minuten ist, zu zeigen: Ich bin hier zu Recht.
Julian Mayer, 26 Jahre, ist einer von 18,6 Millionen Menschen, die der Definition des Statistischen Bundesamtes zufolge "Migrationshintergrund" haben: Sie besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch Geburt oder haben mindestens einen Elternteil, bei dem das der Fall ist - Mayer hat deutsche und ghanaische Wurzeln. Doch obwohl zum Jahresende 2016 mehr als eine Million Stellen in Deutschland unbesetzt waren, obwohl viele Betriebe dringend Auszubildende suchen und Fachkräfte fehlen, ändert sich erst allmählich etwas daran, wie Menschen wie Mayer behandelt werden.
Warum sich Migranten selbständig machen
Für sie gehört Diskriminierung, vor allem im Berufsleben, zum Alltag. Zwar ist die tatsächliche Dimension schwer zu erfassen. Dass etwa Afro-Deutsche oder Sinti und Roma regelmäßig diskriminiert werden, ist wahrscheinlich, aber nicht erfasst. Aber immer wieder zeigen Studien: Mit türkischem Namen oder nicht-weißer Haut hat man es auf dem deutschen Arbeitsmarkt schwer.
Die aktuellste Studie stammt von der Österreicherin Dorothea Weichselbaumer. Die Ökonomin verschickte ein Jahr lang 1500 fiktive Bewerbungen an deutsche Unternehmen. Die Bewerberinnen hießen, bei gleichem Foto und gleicher Qualifikation, Sandra Bauer oder Meryem Öztürk. In einer dritten Variante trug Meryem Öztürk auf dem Foto ein Kopftuch. Weichselbaumer konnte zeigen: Eine kopftuchtragende Muslima muss mehr als viermal so viele Bewerbungen schreiben wie eine deutsche Kandidatin, um zum Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden. Auch ohne Kopftuch erhielt die Bewerberin Öztürk weniger Antworten als Sandra Bauer. Besonders bitter: Die Diskriminierung stieg, je höher die erforderliche Qualifikation war. Auf dem Ausbildungsmarkt sieht es nicht viel besser aus.
Oft greifen bei Entscheidern verinnerlichte Stereotypen
Die Ursachen dafür sind vielfältig, meist aber sind Vorurteile und Fehlannahmen im Spiel. Albert Scherr leitet das Institut für Soziologie an der Pädagogischen Hochschule Freiburg, er forscht zu Migration. Er sagt: Manchem Entscheider oder Mitarbeiter sei nicht bewusst, was er mit Migrationshintergrund assoziiert. Oft würden verinnerlichte Stereotypen greifen, vom unzuverlässigen Südländer oder extremistischen Muslim. Manche Vorurteile seien auch auf überkommene Annahmen zurückzuführen: Bis in die Achtzigerjahre waren viele Kollegen mit Migrationshintergrund Gastarbeiter oder nach hiesigen Standards schlechter ausgebildet. Das ist längst anders, die zweite, teils dritte Generation aus Gastarbeiterfamilien hat hier Schule, Ausbildung und Studium absolviert, hat einen deutschen Pass und fühlt sich zuhause, werde aber, so Scherr, mit den gleichen Vorurteilen wie Eltern und Großeltern konfrontiert.
Und selbst wenn Personaler keine Vorurteile haben oder das zumindest glauben, berücksichtigen sie oft unbewusst die (möglichen) Vorurteile anderer. Scherr sagt: Personaler überlegen, wer passt in meinen Betrieb, wen akzeptieren Kunden und Kollegen - und gehen davon aus, dass jemand, der anders aussieht oder heißt, weniger akzeptiert wird. Da scheint es einfacher, Bewerber mit demselben Hintergrund einzustellen, als sich mit Kunden oder Kollegen auseinandersetzen, die Vorurteile pflegen. Hinzu kommt eine menschliche, wenn auch nicht erfreuliche Komponente: Stallgeruch hilft, auch das zeigen Forschungen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen aufsteigen, steigt, wenn sie aus der gleichen Region oder der Herkunftsstadt wie der Chef kommen.