Schulz sauer auf Merkel: "So etwas ist inakzeptabel"

SPD-Chef Schulz nennt Bedingungen für Regierungsbeteiligung und wehrt sich gegen Meldungen, wonach eine Koalition mit der CDU bereits ausgemachte Sache sei: "Es gibt keinen Automatismus für eine Große Koalition."
Kommt jetzt doch wieder die GroKo? Diese Frage treibt Deutschland seit dem Scheitern der Sondierungsgespräche zu einer sogenannten Jamaika-Koalition aus CDU/CSU, FDP und Grüne um.
Seit 9 Uhr morgens beriet sich Parteichef Martin Schulz heute mit dem SPD-Präsidium, um endlich Klarheit in die Frage zu bringen, ob die SPD überhaupt dazu bereit sei, auch nur Gespräche mit dem ehemaligen Koalitionspartner aufzunehmen. Eine Entscheidung gab es auch heute nicht, auch wenn deutsche Medien unter Berufung auf die Bild-Zeitung noch am Vormittag vermeldeten, die Weichen seien auf GroKo gestellt.
Schulz sauer
Eine Meldung, die "schlicht falsch" sei, betonte Martin Schulz am Freitag. Da sie offensichtlich von der Union lanciert worden sei, habe er deswegen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel gesprochen "und ihr gesagt, dass so etwas inakzeptabel sei". Er fügte hinzu: "Wer Falschmeldungen in Umlauf setzt, zerstört Vertrauen." Schulz unterstrich, dass alle Optionen weiterhin auf dem Tisch lägen und noch keine Entscheidung gefallen sei.
Der SPD-Vorstand werde am Montag eine Empfehlung für den Parteitag Ende nächster Woche formulieren. "Es gibt keinen Automatismus für eine Große Koalition." Deutschland hätte eine geschäftsführende Bundesregierung, "wir haben keinen Zeitdruck“, sagte Schulz. "Wir haben viele Optionen für eine Regierungsbildung. Wir sollten über jede dieser Optionen reden."
Schulz nutzte den Auftritt vor der Presse am Freitag jedoch auch, erste Kernanliegen seiner Partei für Gespräche mit der Union über die Bildung einer deutschen Regierung zu nennen. "Die deutsche Euro-Politik muss sich ändern", sagte Schulz. Eine positive Antwort auf die EU-Reformvorschläge des französischen Präsidenten Emmanuel Macron werde "ein Kernelement bei jeder Verhandlung" sein. In einem Spiegel-Interview meinte Schulz, er sei für eine gemeinsame europäische Sicherheitspolitik und einen EU-Finanzminister. Innenpolitisch werde seine Partei eine umfassende Erneuerung des Pflegesystems sowie der Gesundheitsversorgung zur Bedingung einer möglichen Regierungsbeteiligung machen, sagte Schulz laut der redaktionellen Fassung des Interviews.
Internationale Pressestimmen zur Regierungsbildung in Deutschland
"La Repubblica" (Rom):
"Aus Sicht von (Angela Merkel und Emmanuel Macron) war das Scheitern einer Regierungskoalition, die auch die Liberalen von Christian Lindner umfasst hätte, keine Tragödie. Mehr noch: Eine solche Regierung hätte die Beziehung zwischen Berlin und Paris noch schwieriger gestaltet und die vom französischen Präsidenten vorgestellten und von der Kanzlerin gewürdigten Reformideen für Europa infrage gestellt. Die Liberalen in Deutschland hatten ganz andere Ideen. Jetzt öffnet eine mögliche Einigung mit den Sozialdemokraten ein ganz neues Szenario. Sollte sich eine deutsche Regierung mit starker europäischer Tradition formieren, könnte Merkel sie weniger als zwei Jahre führen und danach, sobald es an die Suche nach einem Nachfolger für EU-Ratspräsident Donald Tusk geht, Berlin verlassen und seinen Platz einnehmen, möglicherweise auf Vorschlag von Macron."
"Neue Zürcher Zeitung":
"Steinmeiers Ziel ist klar: Nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen will er die drei zur Bildung einer stabilen Regierung bringen, auch mit Blick aufs Ausland. Er kann zwei Fähigkeiten zur Geltung bringen: seine Erfahrung als 'Techniker der Macht' im Hintergrund und seine Erfahrung als oberster Diplomat. Dass er ein Sozialdemokrat ist, könnte ihm zugutekommen: Er ist frei von dem Vorwurf, in parteipolitischer Absicht die SPD zu malträtieren. Allem Anschein nach wird er diese dazu bewegen wollen, sich noch einmal auf eine Koalition mit CDU und CSU einzulassen. Neuwahlen sind für ihn Ultima Ratio. Darin geht er mit Merkel und zahlreichen CDU- und SPD-Vertretern einig."
"Les Echos" (Paris):
"Erst im März dürfte in Deutschland eine mögliche Koalitionsregierung zwischen Union und SPD stehen. Das wirkt wie ein endloser Aufschub angesichts der aktuellen Beschleunigung. Vor allem aber zeigt sich eine Unentschlossenheit, die in Europa Zweifel an der Führungskraft des Landes aufkommen lässt. Deutschland muss seine rein wirtschaftliche Orientierung aufgeben, um endlich wieder eine Rolle in der Welt zu spielen."
""Hospodarske noviny" (Prag):
"Die Kanzlerin hat bereits vor einiger Zeit deutlich gemacht, dass ihr eine von den Sozialdemokraten tolerierte Minderheitsregierung als zu instabil erscheint. Mit anderen Worten würden sie lieber in Neuwahlen gehen, noch dazu, weil die Christdemokraten in den Umfragen immer stärker werden. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Es besteht das Risiko, dass die Wähler unzufrieden mit der Unfähigkeit der Parteien sind, eine stabile Regierung zu bilden, und bei einer Neuwahl der rechtspopulistischen Protestpartei Alternative für Deutschland ihre Stimme geben. Allen, die sich am Donnerstagabend bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier getroffen haben, dürfte dieses brisante Problem bewusst gewesen sein."
"Nürnberger Nachrichten":
"Darum geht es: um Verantwortung, auch um - ein altmodisch klingendes Wort - Pflicht. Die Wähler nahmen Parteien in die Pflicht, mit der notwendigen (und zu oft fehlenden) Ernsthaftigkeit eine stabile Regierung für dieses Land zu bilden. Frank-Walter Steinmeier ist dabei, die Parteien daran zu erinnern - an ihre ureigene Aufgabe. Die heißt: Politik gestalten. Und nicht: Kampagnen inszenieren."
"Frankfurter Rundschau":
"Seit der Wahl am 24. September herrscht rasender Stillstand. Unterdessen langweilen sich die allermeisten Bundestagsabgeordneten, weil keine Fraktionsführungen gewählt und keine Ausschüsse gebildet werden. Der Betrieb tritt auf der Stelle. Das Besondere bei der schwierigen Koalitionsbildung ist, dass die Vorsitzenden von CDU, CSU und SPD nur bedingt handlungsfähig sind. Sie werden entweder abgelöst oder müssen durch Rückkopplung mit Funktionären und Basis neue Autorität aufbauen. Das dauert. Die handelnden Personen sollten aufpassen, dass das, was im Regierungsviertel geschieht, nicht als Theater von Narzissten wahrgenommen wird. Der größte Schaden tritt ein, wenn Bürger den Eindruck bekommen, dass man Parlament und Regierung nicht mehr braucht."