Als erster russischer Herrscher besucht Putin ein orthodoxes Konzil. Das lässt ahnen, worauf er seine Autorität künftig stützen wird.
Noch hat Wladimir Putin nicht öffentlich erklärt, dass er bei der Wahl im März 2018 wieder antreten wird. Aber seine jüngsten Auftritte lassen ahnen, worauf Russlands Präsident seine Autorität künftig stützen wird. Die Wirtschaft stagniert, die Armut wächst, Konflikte dominieren die internationalen Beziehungen. Zuflucht bieten da die ruhmreich verbrämte Geschichte und religiöse Legitimation aus dem Jenseits.
Am Freitag besuchte Putin in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale eine Bischofs-Synode der orthodoxen Kirche. Es war das erste Mal in der russischen Geschichte, dass ein Staatsoberhaupt dem Konzil beiwohnte. Würdenträger der orthodoxen Kirche treffen sich mindestens alle vier Jahre. Jetzt stand unter anderem die Ukraine im Mittelpunkt, wo verschiedene orthodoxe Kirchen im Konflikt liegen - das Moskauer und das Kiewer Patriarchat streiten um die Vormacht. In Syrien zähle er darauf, dass die Russische Orthodoxe Kirche ihre Autorität für die Wiedergeburt des Landes einsetze, sagte Putin, "für den Wiederaufbau der zerstörten religiösen und kulturellen Zentren".
Roman Lukin, Religionswissenschaftler der Russischen Akademie der Wissenschaften, sprach vor einem "historischen Ereignis". Die letzten weltlichen Herrscher bei einem orthodoxen Konzil seien die Kaiser von Byzanz gewesen. Konservative Kreise wärmen die Idee vom "dritten Rom" auf, die seit dem 16. Jahrhundert existiert. Demnach sei Moskau nach Rom und Konstantinopel geistliches und politisches Zentrum einer Weltmacht.
Vor zehn Tagen reiste Putin eigens auf die Krim, wo ein Denkmal für Alexander III. eingeweiht wurde. Einen echten Anlass gab es nicht. Keinen runden Geburts- oder Todestag, kein Krönungsjubiläum. Zur Oktoberrevolution, die vor 100 Jahren das Land auf den Kopf stellte, vermied der Kreml jede offizielle Erinnerung. Dagegen passt der Vater des letzten Zaren ins neue Geschichtsbild eines starken Staats, der sich gegen Feinde im Innern und Äußern verteidigen muss.
Alexander III. machte die liberalen Reformansätze seines Vaters rückgängig, schränkte Rechte von Juden und nationalen Minderheiten ein und gründete, um Gegner der Monarchie zu bekämpfen, die Geheimpolizei Ochrana. Die Bronzeskulptur in Jalta sitzt auf einem Fels und blickt aufs Meer hinaus. Ein Symbol für den starken Staat, in dem alle Voraussetzungen für ein Aufblühen vorhanden seien, erläuterte Bildhauer Alexander Kowaltschuk.
Putin nutzte die Enthüllung der Statue, um am historischen Beispiel die Prioritäten seiner Politik auszumalen. Alexander sei ein "herausragender Staatsmann und Patriot" gewesen, ein mutiger Mann mit starkem Charakter und unbeugsamem Willen, der große Verantwortung für sein Land empfunden habe. Das Denkmal sei daher nicht nur dem Zaren gewidmet, sondern allen Menschen, die dem Staat "treu und ergeben gedient haben, ihm heute dienen und morgen dienen werden". Man darf unterstellen, dass der Präsident sich in aller Bescheidenheit dazu zählt.
Was war in Putins Augen das Erfolgsrezept des historischen Vorbilds? Ein souveräner Staat müsse sich nicht nur auf wirtschaftliche und militärische Stärke stützen, sondern auch auf seine Traditionen, so Putin: "Fortschritt ist nicht möglich ohne Respekt vor der eigenen Geschichte, Kultur und religiösen Werten." Das beschreibt präzise den Kurs, den der Präsident mit Blick auf seine vierte Amtszeit im Kreml einschlägt.
Kultur, Geschichte, Religion als Kampfmittel gegen Feinde von innen und außen
Inwieweit Putin Kultur, Geschichte und Religion des Landes tatsächlich Respekt entgegenbringt und inwieweit er sie benutzt im Kampf gegen innere und äußere Feinde, ist Auslegungssache. Bestes Beispiel, wie Religion und Geschichte in den Dienst des Staats gestellt werden, ist die Dauerausstellung "Russland - meine Geschichte"auf dem Messegelände WDNCh in Moskau und hin und wieder auf Tournee durchs Land. Der Besucher lernt, dass Russland immer stark war, wenn es einen starken Führer hatte - gleich, ob der ein Romanow war oder Kommunist. Nur wenn Russland Schwäche zeigte und mit dem Westen zusammenarbeitete, wie unter Michail Gorbatschow und Boris Jelzin, ging es dem Land schlecht. Denn ausländische Mächte haben nichts anderes im Sinn, als Russland in die Knie zu zwingen.
Die Ausstellung ist Produkt des Kultur-Rats des Moskauer Patriarchen, der eine Art ideologischer Inkubator für den Kreml wurde. Geleitet wird das Gremium aus Klerus, Kultur und Wissenschaft von Bischof Tichon Schewkunow. Russische Medien stellen den Vorsteher des Sretenski-Klosters oft vor als Putins Beichtvater. Keiner der beiden hat das je bestätigt, doch gilt Tichon als sehr einflussreich. Am Montag berieten in seinem Kloster unweit der Geheimdienst-Zentrale Lubjanka Experten der obersten Ermittlungsbehörde mit orthodoxen Geistlichen, ob der Mord am letzten Zaren Nikolai II. als "Ritualmord" einzustufen sei. In öffentlichen Stellungnahmen vermied man das Wort "jüdisch", aber das antisemitische Stereotyp des Ritualmordes erreicht seine Adressaten.
Es gibt keine Hinweise, dass Putin selbst Antisemit ist. Aber wenn es der patriotischen Konsolidierung der Gesellschaft dient, lässt der Kreml derzeit die Leinen für reaktionäre Gruppen etwas länger.